Unbekannte Klangfarben

WITTLICH. (red) Viele Besucher kamen, um Passionsmusik aus alter Zeit zu hören: Der Musikkreis Stadt Wittlich hatte sieben Streicher aus Dresden mit einem Organisten an der Truhenorgel und einem Counter-Tenor aus England nach St. Markus in Wittlich eingeladen.

Die "Capella Sagittariana Dresden” hat sich der Alten Musik verschrieben. Beim Wittlicher Konzert galt ihre Aufmerksamkeit vor allem einem Komponisten, der etlichen Zuhörern noch unbekannt und in seiner Klangcharakteristik geradezu fremd erscheinen mochte.Interpretation eröffnet Blick auf Gegenwärtiges

Die Rede ist von Heinrich Ignaz Franz Biber, der 1644 in Böhmen geboren wurde und 1704 in Salzburg starb. Dort hatte er sein wohl berühmtestes Instrumental-Werk, die "Rosenkranzsonaten" nach den 15 "Geheimnissen" des Rosenkranzes komponiert. Die Dresdener haben die zehnte Szene, die Kreuzigung Jesu, mit ihren herben Reibeklängen geradezu meditiert, die Musik jedoch keineswegs zu einer bloßen innerlichen Verehrung des Kreuzes stilisiert. Diese Interpretation eröffnete in ihrer Schroffheit durchaus den Blick auf gegenwärtige Erfahrungen. Dagegen wirkte Bibers virtuose Partita für zwei Viole d-Amore (und Basso continuo) geradezu wie ein Ausblick auf die Himmelfahrt. Hier war nicht nur die Virtuosität in der Klangfülle gebrochener Akkorde zu bewundern, sondern von der Klangfarbe der heute fast unbekannten Instrumente ging auch eine unerhörte Faszination aus. Die war vor allem Sabine Fehlandt und Ulrike Scobel zu danken, die ihrer Viola d'Amore, einer mit je sieben Saiten aus Darm und Metall bespannten Form der Bratsche, eine solche Klangfülle entlockten. Den zweiten Schwerpunkt des Konzertes bildeten ohne Zweifel zwei Werke für Countertenor und Streicher, die der aus dem englischen Kent stammende David Cordier mit den Dresdenern in einem ausbalancierten Wechselspiel zwischen Instrumenten und Stimme darbot. Mit Johann Sebastian Bachs dreiteiliger Kantate "Widerstehe doch der Sünde" (BWV 54) endete die Passionsmusik. Hier mag der Text für moderne Ohren befremdlich erscheinen, Bach's Musik jedoch scheint wohl bekannt. So erschien es folgerichtig, dass Cordier seinen lyrischen Stimmklang auch ins Dramatische steigerte, ohne jemals zu überziehen. Hier kommt ihm seine große Opernerfahrung zu Gute. Seine Stimmgebung ist seit dem letzten Auftritt in Wittlich vor vier Jahren noch voller, runder und nuancierter geworden. So konnte er sich auch der Komposition des böhmischen Zeitgenossen Bachs, Jan Dismas Zelenka, ausliefern. Dessen Vertonung der "Lamentatio Jeremiae" (Die Klage des Jeremia, sie ist fester Bestandteil der Karwochen-Liturgie) war inhaltlich und musikalisch der zweite Pol des Konzerts. Cordier deutete die "Lamentatio" mit einer Wärme, die ein Mitfühlen ermöglichte, aber auch distanziert genug, um jede Sentimentalität auszuschließen. Ohne jede Besserwisserei konnten der Schmerz und die Trauer verstummen. Nicht alle Konzertbesucher konnten die musikalische Spannung lange aushalten, obgleich es manchmal besser wäre, den Beifall hinauszuzögern. Der aber war dann mehr als berechtigt und am Ende sogar überwältigend, so als könnte das Publikum nicht genug danken für eine neue musikalische und für manche geistliche Erfahrung.

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