Besuch vom Papst

Kürzlich besuchte ich eine hochkarätige Weinpräsentation. Die Winzer standen an Tischen, vor ihnen erstklassige Gewächse. Die Besucher gingen von Stand zu Stand, ließen sich diesen und jenen edlen Tropfen einschenken, probierten und fachsimpelten mit dem Winzer.

Plötzlich geht ein Raunen durch den Saal. ER kommt. ER, das ist d e r Weinkritiker, manche nennen ihn auch d e n Weinpapst. Ich beobachte die Winzer und meine, deren Gedanken lesen zu können. Wird ER an meinen Tisch kommen? Wird ER nach meinem Namen fragen? Wird ER mich wohlwollend erwähnen?Ich will nach oben, will in den "Gault Millau", in den "Feinschmecker" und auch in das Buch von IHM, in die Weinbibel. Alles habe ich gemacht, die Reben im Frühjahr kurz geschnitten, die Trauben im Spätsommer mehrmals ausgedünnt, bin mit meinen Lesehelfern im Herbst drei-, viermal durch den Weinberg gegangen, um wirklich nur die besten Trauben zu ernten. 104 Grad Oechsle zeigte die Mostwaage an, meine Winzerkollegen waren begeistert von dem edlen Tropfen, den ich im Frühjahr auf die Flasche gefüllt habe. Mir stockt das Herz. ER schaut zu mir rüber und setzt sich in Bewegung. Schnellen Schrittes und mit ernster Miene kommt er an meinen Stand. Meinen Wein will er kosten, meine Auslese, mein ganzer Stolz. "Guter Wein", sagt ER und ergänzt: "Ihm fehlt aber das vornehm Adelige." ER geht zum nächsten Stand und hinterlässt mich völlig ratlos. Ich werde wohl nie ein Weinbaron. Winfried Simon

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