Göttliche Begegnung

Kennen Sie das? Sie begegnen einem Menschen und sind danach wie verwandelt. Vielleicht haben Sie die ganze Nacht über etwas gegrübelt und sind morgens zermürbt aufgestanden. Vielleicht haben Sie schon den ganzen Tag über versucht, sich von Ihren Gedanken abzulenken, gelesen, ferngesehen, Kreuzworträtsel gelöst - ohne Erfolg.

Sie erledigen den notwendigen Einkauf, hoffen, von niemandem angesprochen zu werden. Doch Ihr Wunsch geht nicht in Erfüllung, Gott sei Dank.

Sie treffen einen Menschen, von dem Sie nie gedacht hätten, dass er Ihnen gut tun könnte. Doch als Sie sich voneinander verabschieden, spüren Sie: Sie sind wie verwandelt. Worum Sie sich selbst erfolglos bemühten, nämlich Ihre Stimmung zu verändern, ist jetzt wie von selbst geschehen. Nüchtern betrachtet, hat sich an Ihrem Leben und Ihren Sorgen nichts verändert, und doch ist alles anders. Sie schauen aus einem anderen Blickwinkel auf Ihr Leben, und tatsächlich, vieles stellt sich nun ganz anders da. Solche Erfahrungen gehören für mich zu den Wundern des Alltags. Eine Begegnung, in der mehr geschieht, als Menschen aus ihren eigenen Möglichkeiten heraus bewirken können. Es ist, als würde sich etwas Göttliches in manche Begegnung mischen. Berühren wir mit solchen Erfahrungen nicht genau das, was wir an Weihnachten gerade gefeiert haben: die Begegnung von Gott und Mensch mitten in unserer Welt? Göttliches und Menschliches berühren sich. Elisabeth und Maria - Lukas erzählt von der ersten Begegnung dieser beiden Frauen. Beide erwarten Kinder, Johannes und Jesus. Als sie sich begegnen, nimmt Elisabeth nicht nur ihr eigenes Kind wahr, sondern auch Marias Kind.

In ihrer Begegnung kommen die beiden Frauen in Kontakt mit dem Kostbarsten, das sie in sich tragen. Beschreibt diese biblische Geschichte nicht genau das, was wir in diesen wunder-vollen Begegnungen erleben, die uns verändern? Einander entdeckt man Kostbarkeiten, am anderen, an sich selbst, die man alleine nie wahrgenommen hätte. Christus in uns. Ja, seit Weihnachten dürfen wir glauben, dass jeder Mensch Christus in sich trägt. Dass es uns ab und zu geschenkt wird, uns einander so anzuschauen, so zu begegnen und von diesem göttlichen Wunder erfüllt und verwandelt zu werden, das wünsche ich uns für manchen Tag des neuen Jahres.

Jörg-Walter Henrich ist evangelischer Pfarrer in Traben-Trarbach

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