"Geschichte hab{minute} ich nie gehabt"

Zu 100 Stunden Sozialdienst und einem fünfseitigen "Besinnungs-Aufsatz" über den Besuch des Konzentrationslagers Hinzert ist ein 17-Jähriger vor dem Amtsgericht Prüm verurteilt worden. Er und eine mitangeklagte 20-Jährige hatten nachts auf einer Straße Nazi-Lieder gespielt und Anwohner in Aufruhr versetzt.

 Auf den Spuren deutscher Geschichte: Die zwei verurteilten Jugendlichen werden sich demnächst auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Hinzert (Hochwald) über das Dritte Reich und seine Folgen informieren und darüber „Besinnungsaufsätze“ schreiben. TV-Foto: Archiv/Uwe Hentschel

Auf den Spuren deutscher Geschichte: Die zwei verurteilten Jugendlichen werden sich demnächst auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Hinzert (Hochwald) über das Dritte Reich und seine Folgen informieren und darüber „Besinnungsaufsätze“ schreiben. TV-Foto: Archiv/Uwe Hentschel

Prüm. Ein Dorf an der Oberen Kyll im Sommer 2006: Jens S. und Sabine L. (Namen von der Redaktion geändert) hören mitten in der Nacht laut Nazi-Lieder und reißen damit Anwohner aus dem Schlaf. Dass es neben der Ruhestörung strafbar ist, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen öffentlich zu benutzen, wollen sie nicht gewusst haben.Nach dem Urteil des Amtsgerichts müssen die beiden jungen Leute innerhalb von vier Wochen einen Aufsatz über das Dritte Reich schreiben. Bei Sabine L. sah der Richter vom Sozialdienst ab, da sie mittlerweile Mutter geworden ist. Auf den sichergestellten CDs der beiden befanden sich neben Nazi-Liedern auch Titel, die den rassistischen Ku-Klux-Klan verherrlichen mit Strophen wie: "Hurra, hurra, ein Neger brennt (…), schon lodert das Kreuz, den Klan-Chef freut's." Mit dem Radau hörten sie auch nicht auf, als sie von einer Frau aus der Nachbarschaft dazu aufgefordert wurden.Null Kenntnisse über die NS-Zeit

Die beiden Angeklagten waren voll geständig und entschuldigten sich öffentlich bei einem Anwohner, der als Zeuge vor Gericht erschien. Sabine L. begründete ihr Tun damit, dass sie damals die falschen Leute kennengelernt habe und "dazugehören" wollte. Jens S. bezeichnete sich selbst als "Mitläufer". Er hatte nach mehreren Schulwechseln die Sonderschule 2005 ohne Abschluss verlassen und ist arbeitslos. Mit Politik habe er wenig zu tun, behauptete er und ergänzte: "Geschichte hab{minute} ich nie gehabt."Richter Franz-Josef Triendl bescheinigte den beiden "geistige Armut". Er stellte fest, dass "null Kenntnisse" über die NS-Zeit vorhanden seien und es bei ihnen einen großen Nachholbedarf gebe. Einer der zwei Jugendgerichtshelfer schlug deshalb vor, die Angeklagten das Konzentrationslager Hinzert im Hunsrück besuchen und darüber einen Aufsatz schreiben zu lassen. Für Jens S. empfahl er Sozialdienst, damit der junge Mann "mal in die Pötte kommt". Die Tat von Sabine L. bezeichnete der andere Jugendgerichtshelfer als Ausdruck von Bildungsarmut. Für ihn sei es eine jugendtypische Tat, weshalb er empfahl, das Jugendstrafrecht anzuwenden, zumal Sabine L. bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war. Dieser Empfehlung schlossen sich der Oberamtsanwalt und Richter Triendl schließlich an.

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