"Wer schwankt, muss nicht zwangsläufig fallen"

Prüm · Udo Di Fabio erklärt vor 120 Zuschauern im Prümer Konvikt, dass Europapolitik zu rational und funktional ist.

 Udo Di Fabios Vortrag im Konvikt findet viele Zuhörer. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Udo Di Fabios Vortrag im Konvikt findet viele Zuhörer. TV-Foto: Vladi Nowakowski

Foto: Vladi Nowakowski (now) ("TV-Upload Nowakowski"

Prüm Verfassungsrechtler, Uni-Professor, beliebter Talkshow-Gast und bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht: Udo Di Fabio hat 2015 ein Buch verfasst, das er im Prümer Konvikt vor rund 120 Gästen in einigen Auszügen vorstellt: "Der schwankende Westen - Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss".
Di Fabio holt weit aus - bis in die Zeit der Aufklärung, wo er die Grundidee des deutschen Grundgesetzes verordnet, weil nach den Weltkriegen, insbesondere nach dem Zweiten, in einer Ordnung wie der der Weimarer Republik kein Ansatz zu finden gewesen wäre. "Wir müssen uns auch heute in Erinnerung rufen, dass der Staat das Resultat des allgemeinen Willens ist", sagt Di Fabio.
Europapolitik habe aber bestimmte Grundlagen der menschlichen Existenz aus den Augen verloren und sei zu rational und rein funktional. Nach dem Mauerfall und bis 2001 habe es nach einer Weltordnung ausgesehen. "Doch 2001 kam der Terror in neuer Gestalt zurück, und spätestens mit der Weltfinanzkrise 2008 ist der Westen endgültig ins Schwanken gekommen. Das Vertrauen in Regierungen ist zutiefst erschüttert."
Inzwischen sei Europa durch populistische Bewegungen in seiner Handlungsfähigkeit blockiert, sagt der Verfassungsrechtler. Auch wenn er finde, sagt Di Fabio, dass Populismus an sich nicht zwangsläufig ein hässliches Gesicht haben müsse: "Da tun sich Menschen zusammen, die eine politische Aussage haben. Das darf man nicht verteufeln, sondern man muss es ernst nehmen."
Aber es gebe Grenzen: Fremdenhass und blinder Protektionismus seien Irrwege. Einen Seitenhieb auf den Präsidenten der USA kann sich Di Fabio nicht verkneifen. "Was Trump eigentlich will, ist schwer zu sagen. Bei Kindern kann man das nie so genau vorhersagen." Der Brexit mache deutlich, dass das Schwanken des Westens nicht nur eine Störung im Blutdruck der Europäischen Union sei, sagt Di Fabio und fordert, dass sich die Politik vermehrt an den Menschen orientieren müsse. "Sie handeln eben nicht nur funktional und rational. Die Familie ist kein Geschäftsmodell, und eine Politik, die sich nur nach Statistiken richtet, ist gefährlich."
Die Europäische Union, schließt Di Fabio, sollte das westliche Modell einer vorsichtigen Inventur unterziehen. Und vor allem: die Grenzen sichern. "Europa muss erklären, wie es einerseits den Flüchtlingen helfen, andererseits aber seine Grenzen kontrollieren will. Die Menschen haben Angst", sagt Di Fabio. "Der Rechtsstaat darf in seiner Präsenz nicht zurückweichen und muss, in allem wechselseitigen Respekt, handlungsfähig bleiben."

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