"Die Reform ignoriert die Lebensgewohnheiten"

Prüm · Kommunal- und Verwaltungsreform: Die Freiwilligkeitsphase ist vorbei, alle warten nun auf die Verfügungen aus Mainz. Ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch mit Aloysius Söhngen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm und Vorsitzender des Gemeinde- und Städtebunds in Rheinland-Pfalz.

Prüm. Ein Bürgermeister macht sich Gedanken, aus aktuellem und diskussionswürdigem Anlass: Aloysius Söhngen, seit 21 Jahren Chef der Verbandsgemeinde Prüm und seit 2011 Vorsitzender des Gemeinde- und Städtebunds in Rheinland-Pfalz, kritisiert im Gespräch mit dem TV die aktuelle Kommunal- und Verwaltungsreform.An ihrer Notwendigkeit zweifelt er nicht: Es sei "unbestritten, dass Rheinland-Pfalz relativ hohe Verwaltungskosten hat im Vergleich zu anderen Bundesländern", sagt er. "Aber ich wage die Behauptung, dass das nicht an der kommunalen Ebene liegt, sondern dass wir auch eine recht üppige Landesverwaltung haben für ein so kleines Bundesland." Auf der kommunalen Ebene habe man nämlich die zweitniedrigsten Verwaltungskosten aller Bundesländer, das sei jedoch "auch dem großen ehrenamtlichen Engagement zu verdanken".

Man müsse sich nur einmal verdeutlichen, wie viele Behörden an einem Genehmigungsverfahren beteiligt seien. "Und wie viel Verwaltung - und nicht politische Steuerung - in einem Ministerium geleistet wird. Zum Beispiel bei der Förderung: Das wird auf der Ebene einer Mittelbehörde (zum Beispiel die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Anm.) auf- und vorbereitet, dann dem Ministerium vorgelegt, das dann noch einmal eine eigene Bewertung startet - anstatt zu sagen: Das wird auf der Mittelebene entschieden." Hier, so Söhngens Sicht, "hätte zunächst eine Aufgabenkritik ansetzen müssen, um daraus die Zuschnitte für die Landesverwaltung, die Kreise und eben die Verbandsgemeinden zu entwickeln.""Es fehlt an Visionen, wie die Verwaltung in 40 Jahren aussehen soll."


An einem Punkt handle die Landesregierung zwar richtig, indem sie "nicht die regionale Brille" aufsetze und nicht auf alle Vorlieben und Animositäten im Kleinen Rücksicht nehme: "Da habe ich dann Tausend Feuerchen, die brennen und gelöscht werden müssen." Ansonsten aber gelte: "Es fehlt eine Vision, wie Verwaltung in 40 Jahren aussehen soll. Und da kann man nicht nur eine Ebene betrachten. Man muss auch großen Wert auf einen breiten parlamentarischen Konsens legen. Das haben Helmut Kohl als Ministerpräsident und Jockel Fuchs als SPD-Chef damals hinbekommen.""Die erste Kommunalreform vor 40 Jahren war im Grundsatz gelungen."


Apropos damals, die erste Verwaltungsreform vor mehr als 40 Jahren: Ist denn da, unter seinem Parteifreund Kohl, nicht auch etwas falsch gelaufen? Er lächelt. "Im Grundsatz", sagt er, sei das "eine gelungene Reform gewesen. Weil sie eben dazu geführt hat, dass ganz Rheinland-Pfalz einheitliche Verwaltungsstrukturen bekommen und man mit den Verbandsgemeinden leistungsfähige Einheiten geschaffen hat." Das habe soeben auch Martin Junkernheinrich in seinem Gutachten zur Reform bestätigt.
Kein bisschen Kritik also? Er lässt nur ahnen, was er denkt: "Ob da im Einzelfall die richtige Lösung gefunden worden ist beim Zuschnitt von Verbandsgemeinden und auch von Kreisen, darüber kann man streiten." Nun wird ja derzeit kräftig gestritten: In einigen Regionen bilden sich Initiativen gegen die geplante Reform und die vorgesehenen neuen Zuschnitte - nicht nur an der Oberen Kyll, wo die Bürger von sechs Gemeinden den Kreis Vulkaneifel verlassen und bei Söhngens VG Unterschlupf finden wollen."Am besten ist es da, wo Verwaltung und Identität übereinstimmen."


In Prüm, das hat der VG-Rat bereits mehrfach deutlich gemacht, wären die Gemeinden aus dem Altkreis willkommen - selbst ein Wechsel der gesamten Oberen Kyll zur VG Prüm ist unter Umständen denkbar.
Söhngen aber hält sich zurück und tritt nicht offensiv für eine solche Variante auf. Er weiß allerdings auch, warum so viele an der Oberen Kyll lieber wieder "Prümer" wären: Bei der laufenden Reform ignoriere man nämlich zu viele Dinge, die für die Bürger wichtig seien: "Am besten ist es da, wo Verwaltung und landsmannschaftliche Identität übereinstimmen. Die Lebensgewohnheiten der Menschen, die sollte man nicht außer Acht lassen: Wo bewegen die sich in ihrem Arbeitsalltag? In ihrer Freizeit? - dem sollte man bei den Verwaltungseinheiten folgen. Und das kann man auch."
Das zeige sich auch bei den Bürgerbefragungen in den Orten Hallschlag, Ormont, Reuth, Scheid, Kerschenbach und Stadtkyll: "Das hat ja nicht nur mit Geld zu tun. Sondern auch damit, dass die Leute sagen: Wir fühlen uns immer noch mit Prüm verbunden.""Die Verwaltung muss ein Gesicht haben und darf nicht nur aus anonymen Apparaten bestehen."


Stattdessen sieht Söhngen die Gefahr, dass die Regierung auf schiere Größe setze: "Verwaltung muss aber auch ein Gesicht haben und darf nicht nur aus anonymen Apparaten bestehen. Man sollte letztlich die für eine Entscheidung Verantwortlichen kennen können. Das schafft Vertrauen."
Sieht er das Risiko, dass man das bei der Reform missachtet? "Ja. Der Ansatz ist, dass man allein mit Größe schon Wirtschaftlichkeit schaffen kann. Dem ist nicht so." Es gebe auch kleine - und nun zur Fusion aufgerufene - Kommunen, "die aus meiner Sicht sehr effizient arbeiten." Ein Beispiel? "Speicher.""Die Konstrukteure der Reform sollten die Diskussion aus der Freiwilligenphase ernst nehmen."


Hat der Verbandsgemeinde-Bürgermeister eine Empfehlung an die Konstrukteure der Reform? Hat er: "Sucht eine breite parlamentarische Mehrheit und bindet es ein in langfristig tragfähige und schlankere Verwaltungsstrukturen auf allen Ebenen." Und vor allem: "Nehmt die ganze Diskussion aus der Freiwilligkeitsphase ernst. Arbeitet das auf und macht es letztendlich nicht einfach über die Köpfe der Menschen hinweg."

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