Das Braune Haus wird es nicht mehr geben

Koblenz · Rund sechseinhalb Stunden hat der erste Tag des Koblenzer Neonazi-Prozesses gedauert. Doch die Anklage gegen die 26 Männer im Alter zwischen 19 und 54 Jahren ist noch nicht verlesen worden. Stattdessen haben juristische Ränkespiele den Verfahrensauftakt geprägt.

Koblenz. Der erste Tag des Neonazi-Prozesses vor dem Koblenzer Landgericht ist ohne die Verlesung der Anklage zu Ende gegangen. Grund für den zähen Auftakt des Mammut-Verfahrens gegen 26 mutmaßliche Neonazis waren zahlreiche Anträge der Verteidigung, darunter ein Befangenheitsantrag gegen die Richter der Staatsschutzkammer. Um was geht es in dem Prozess? Rückblende.
Es ist der 19. Februar 2011, Samstagnachmittag gegen 14 Uhr. Scheiben klirren, Böller knallen, Männer brüllen. Gut 100 vermummte Neonazis schwenken in Dresden die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und schleudern Steine auf das Haus der linken Wohngemeinschaft "Praxis". Einige zerschlagen die Fenster mit Knüppeln, andere mit Fahnenstangen. Plötzlich grölt der ganze Mob: "Wir kriegen euch alle!" Immer wieder: "Wir kriegen euch alle!"
Deutschlands Ultrarechte nehmen das Bombeninferno im Februar 1945 zum Anlass für einen archaischen Gewaltexzess.
Der harte Kern


Mittendrin ist der harte Kern des Aktionsbüros Mittelrhein - das zumindest hat die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt. Seit gestern, 20. August, stehen 26 Aktionsbüroler wegen Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vor dem Landgericht Koblenz. 17 sollen in Dresden dabei gewesen sein. Zu den Rädelsführern gehörten laut der 926-seitigen Anklageschrift, die der Koblenzer Rhein-Zeitung vorliegt, "Büro"-Chef Christian H. (27) und Axel Reitz (29). Reitz, der "Hitler von Köln", sagte bei der Polizei: Wenn der Mob es geschafft hätte, die "Praxis" zu stürmen, wäre sicher jemand erschlagen worden. Laut Anklage wurde die Tat lange geplant, auch vom Aktionsbüro.
Das frühere Hauptquartier der rechtsradikalen Truppe war das sogenannte Braune Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Alles begann 2010. Damals zogen fünf Neonazis dort in das cappuccinofarbene Einfamilienhaus in der Weinbergstraße 17, gegenüber einem Edeka-Markt. Sie benannten es nach der früheren NSDAP-Zentrale in München und gründeten eine nationalsozialistische Wohngemeinschaft. 2012 war Schluss. Die Polizei stürmte das Haus am Morgen des 13. März, ebenso weitere Häuser in Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern.19 der 26 Angeklagten sitzen bis heute in Haft.
Laut Staatsanwaltschaft fand man bei mehreren Angeklagten Kinderpornos. Das "Aktionsbüro" forderte für Kinderschänder seit Jahren die Todesstrafe.
Ziel der Aktivisten war ein Staat nach Vorbild der Hitler-Diktatur. Die Aktionsbüroler organisierten die Aktivitäten der Neonazis im Norden von Rheinland-Pfalz und hielten Kontakt zu "Kameraden" aus Nordrhein-Westfalen. Sie träumten - so die Aussage eines Angeklagten - vom Tag der Revolution, an dem alle Antifaschisten exekutiert würden. Trotzdem kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis: Es gibt beim Aktionsbüro keinen Hinweis auf Bezüge zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).
Die Angeklagten provozieren aber gern mit Anspielungen auf den Terror: Ein Angeklagter soll am Telefon erklärt haben, er führe eine Todesliste.
2011 tauchte eine Einladung zur Silvesterparty im Braunen Haus auf - die Buchstaben N, S und U waren darauf hervorgehoben.
Christian H. war Chef des Aktionsbüros und des Braunen Hauses. Er machte es zum überregional bekannten Treffpunkt der Ultrarechten, zur Heimstätte für nationalsozialistische Sektierer. Für Menschen, die gemeinsam das SA-Sportabzeichen ablegen und zu besonderen Anlässen Braunhemden tragen. Die sich in Rassenkunde fortbilden und das Modelabel Rhein-Ahrische-Jugend betreiben. Die "Mein Kampf" als Hörbuch auf dem Handy haben.

Text aus dem Jahr 1929


Gewalt gegen Links war für das "Büro" offenbar legitim. Jedenfalls stellte es im Februar einen Text aus dem Jahr 1929 ins Internet. Darin definiert NS-Märtyrer Horst Wessel seinen Beitrag zur Gründung eines nationalsozialistischen Staates: "Ich will mich, so oft es nur geht, mit Kommunisten herumschlagen."
Die Aktionsbüroler sammelten laut Anklage Daten über Journalisten, etwa einen Redakteur und einen Fotografen der Rhein-Zeitung. Sie montierten dem Rechtsextremismus-Experten des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung einen GPS-Peilsender ans Auto. Sie besprühten Schulen und Brücken mit Hakenkreuzen, überklebten in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Namensschilder von rund 20 Straßen mit dem Schriftzug "Rudolf-Heß-Straße".
Inzwischen steht fest: Das Braune Haus wird es künftig nicht mehr geben. Die Vermieter haben den Mietvertrag mit Christian H. gekündigt. Laut einem Vergleich des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler musste er das Haus bis 15. August räumen.

Für den Prozess, der gestern in Koblenz begonnen hat, sind bislang zehn Verhandlungstage bis Mitte September angesetzt. Die Verlesung der Anklage ist nun für heute vorgesehen.
Extra

... Roger Lewentz (SPD, Foto: dpa), rheinland-pfälzischer Innenminister: Herr Minister, Sie sind am Wochenende in Koblenz gegen eine Rechtsextremen-Demo mit auf die Straße gegangen. Warum war Ihnen das wichtig? Lewentz: Weil ich die Ideologie, das Auftreten und die Propaganda der Rechten verachte. Gerhard Schröder hat seinerzeit zum "Aufstand der Anständigen" gegen die Neonazis und ihre Hetze aufgerufen. In Koblenz sind die Anständigen aufgestanden. Und das sollte immer so sein, wenn die Rechten versuchen, sich öffentlich in Szene zu setzen. Es ist für mich als Demokrat eine Selbstverständlichkeit gewesen, den Protest gegen den braunen Aufmarsch - auch durch mein Amt als Minister - zu verstärken. Was denken Sie angesichts des Prozesses gegen 26 mutmaßliche Neonazis? Lewentz: Ich frage mich: Wo kommt das her? Wieso werden Menschen, die in einem freiheitlichen, demokratischen und offenen System wie der Bundesrepublik Deutschland aufwachsen, zu Feinden unserer Gesellschaft, unseres Staates, unserer Werte? Und dann hoffe ich natürlich, dass der Staat sich in dem Prozess gegen die Leute aus dem "Braunen Haus" und dessen Umfeld als wehrhaft erweist. Auch hier muss klar werden: Es gibt gegenüber neonazistischen Umtrieben null Toleranz in diesem Land. Das hat unsere Polizei mit dem erfolgreichen Schlag gegen das "Braune Haus" eindrucksvoll bewiesen. Was tut sich bei den von Ihnen unterstützten Bemühungen um ein neues NPD-Verbotsverfahren? Lewentz: Die Länder und der Bund führen ihre Erkenntnisse und ihre Unterlagen zusammen, die beweisen, was schon lange meine persönliche Überzeugung ist: Dass es sich bei der NPD um eine antidemokratische und verfassungsfeindliche Partei handelt, die verboten werden muss. Unsere Sicherheitsbehörden gehen da mit allergrößter Sorgfalt vor. Deswegen dauert die Stoffsammlung etwas länger, als manche erhofft oder erwartet haben. Aber Sorgfalt und Gründlichkeit gehen bei dieser wichtigen Frage auf jeden Fall vor Schnelligkeit. Daran darf es keine Zweifel geben. sey

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