Eine Achterbahn der Gefühle

Von Euphorie über Entsetzen bis hin zu Enttäuschung: Auch in den Bundeszentralen der Parteien in Berlin sind die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemburg und Sachsen-Anhalt verfolgt worden. Eine Beobachtung im Wechselbad der Gefühle.

Als im Berliner Willy-Brandt-Haus die erste Prognose zum Wahlausgang in Rheinland-Pfalz über die Bildschirme läuft, bricht sich ein befreiender Applaus in der SPD-Zentrale Bahn. Doch nach den Daten aus Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt schlägt die Euphorie über Malu Dreyers Sieg in Entsetzen um.
Sigmar Gabriel spricht dann auch von einem "Wahlabend mit gemischten Gefühlen". Auf der Bühne hat sich die Partei- und Fraktionsspitze demonstrativ um den Vorsitzenden geschart. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist erschienen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Im Vorfeld des Wahlsonntags war öfter über Gabriels politisches Schicksal geunkt worden, falls es für die Partei garstig käme. Doch SPD-Vize Ralf Stegner hat die Richtung vorgegeben. Auf eine Reporterfrage, ob Gabriel zur Disposition stünde, sagt er: "Kein Stück". Warum auch? Sie haben ja keinen anderen. Und wenigstens auf Malu Dreyer war Verlass. Sie hat Gabriel gewissermaßen gerettet. Sein Loblied auf das Mainzer Wahlergebnis fällt daher auch sehr lang aus. Auf Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt geht Gabriel nur kurz ein. Ein "schwieriges Ergebnis" in Stuttgart, ein "bitteres Ergebnis" in Magdeburg, sagt er.
In der Berliner Grünen-Zentrale wird der alte und wohl auch neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg unterdessen wie ein Popstar gefeiert. Parteichefin Simone Peter spricht von einem "fulminanten Ergebnis". Es ist sogar ein historisches dazu. Noch nie waren die Grünen in einem Bundesland stärkste Partei. Aber genauso wie bei der SPD gleicht auch der Wahlabend bei den Grünen einer Achterbahn der Gefühle. Denn in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist das grüne Abschneiden eine "Enttäuschung", räumt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ein.
Besonders bitter ist es für die Linkspartei gekommen. Nicht, dass man ernsthaft geglaubt hätte, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg über die Fünf-Prozent-Hürde zu springen. Aber das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt, wo man sich zwischenzeitlich Hoffnung auf einen eigenen Ministerpräsidenten gemacht hatte, ist mit rund 16 Prozent ein herber Rückschlag. Man liegt sogar noch hinter der AfD. "Wir hatten uns mehr erhofft", räumt Parteichefin Katja Kipping ein. Deutschland erlebe einen "Rechtsruck".

Im Konrad-Adenauer-Haus erleben Vorstandsmitglieder wie Parteivize Volker Bouffier und Bundestagspräsident Norbert Lammert, wie die Unionsanhänger in der Parteizentrale auf die Zahlen aus den drei Ländern reagieren: mit lautem Stöhnen. Klar ist, dass die Union vor allem bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ihre Ziele klar verfehlt hat.
Dem parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, obliegt es, sich als erster den Journalisten zu stellen. Er sagt, wohin die Reise geht: "Keine der im Bundestag vertretenen Parteien hat Grund, fröhlich zu sein", sagt er. Nicht nur die Union habe verloren, sondern alle wegen des starken Abschneidens der AfD. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, betont: "Das ist heute ein bitterer Tag für die Union." Darauf gibt es keine einfachen Worte. Womit sich gleich die nächste Frage stellt: Waren die Wahlen eine Quittung für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin? Oder haben die Unionisten in den drei Ländern verloren, weil sie sich von der Kanzlerin zu stark abgesetzt haben? "Der Wahlkampf fand in schwierigen Zeiten statt", räumt CDU-Generalsekretär Peter Tauber ein. Dass sich an der Flüchtlingspolitik etwas ändere, "sehe ich nicht".
Aus dem Stand zweistellig, in Sachsen-Anhalt sogar zweitstärkste Partei - die AfD ist die klare Siegerin des Abends. Die Vorsitzende Frauke Petry geht in Berlin als erste vor die Kameras, schon elf Minuten nach Schließung der Wahllokale, und sie sagt, ihre Partei habe politikverdrossene Bürger wieder an die Wahlurne gebracht. Das sei ein Verdienst. "Im Grunde sorgen wir wieder dafür, dass es eine bürgerliche Mehrheit geben kann". Petry wehrt sich gegen die Etikettierung als fremdenfeindlich. Sie geht aber nicht soweit, der CDU jetzt Koalitionen anzubieten. Man werde eine "starke Opposition" sein. Heute will die AfD-Chefin in Berlin in der Bundespressekonferenz auftreten. Die AfD will den Erfolg jetzt auskosten.
Auch Christian Lindner geht heute vor die Bundespressekonferenz, auch er fühlt sich als Sieger. Der FDP-Chef kann aber vermelden, dass seine Partei auf Kurs Wiederkehr ist, nachdem sie 2013 aus dem Bundestag ausschied. "Mit dem heutigen Ergebnis hat sich gezeigt, dass mit der FDP wieder zu rechnen ist." Lindner ist im Fahrplan: erst Erfolge in Hamburg und Bremen, jetzt in den wichtigen Stammländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Neu ist für die FDP auch, dass einer wie Konstantin Kuhle, Chef der Jungen Liberalen, vorschlägt, man solle in Rheinland-Pfalz eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP versuchen. Die Liberalen sind also auf dem Weg zu neuen Ufern. has/vet/wk

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