70 Millionen sind drin, aber keiner fängt an

MAINZ. Bürokratie lähmt und kostet Geld. Mit Reformen könnten 70 Millionen Euro gespart werden, klagt der Steuerzahlerbund. Doch mit dem Zurückstutzen hapert es meist.

Es ist nicht zuletzt die Ebbe in den öffentlichen Kassen, die zum Nachdenken über Verwaltungsmodernisierung und Bürokratie-Abbau antreibt. "Da gibt es reichlich Lippenbekenntnisse, doch wenn es zum Schwur kommt, läuft eigentlich nichts", reklamiert Peter Pferdekemper vom Bund der Steuerzahler (BdSt). "Wir leisten uns zu viel und regulieren uns zu Tode", bringt er die Kritik auf den Punkt. Allein rund 70 Millionen Euro jährliche Einsparungen und der Wegfall von 800 Stellen wären nach einem Gutachten des BdSt möglich, wenn Vorschläge des Staatswissenschaftlers Joachim Jens Hesse zu einer Regierungs- und Verwaltungsreform im Land umgesetzt würden.Reformen sind unerlässlich

Zentrale Forderungen von Hesse: Kommunal- und Gebietsreform sind unerlässlich, um eine wirkungsvollere Verwaltung zu erreichen. Aufgaben sollten nach oben und nach unten verlagert werden, damit die Nachfolgebehörden der Bezirksregierungen als Mittelinstanz aufgelöst werden können und eine zweistufige Verwaltung eingeführt wird. Kreisfreie Städte unter 100 000 Einwohnern würden ihren Status verlieren und die Zahl der Landkreise auf bis zu zwölf halbiert werden. Der Umbau der Bezirksregierungen zu Aufsichts- und Genehmigungsdirektionen hat sich laut Pferdekemper ohnehin als politischer Etikettenschwindel ohne spürbaren Einspareffekt gezeigt. "Da wurde alter Wein in neue Schläuche umgefüllt", sagt der BdSt-Geschäftsführer. Auch bei Orts- und Verbandsgemeinden sollten größere Einheiten geschnitten werden. Das Spektrum der Verbandsgemeinden reicht beispielsweise von Einheiten mit zwei Orten wie im rheinhessischen Heidesheim oder im pfälzischen Waldsee bis zu Bitburg-Land mit mehr als 50 Ortschaften. Nur die FDP hat sich bisher aktiv an dieser Diskussion beteiligt. Für ihren Partei-Vize und Wirtschaftsminister Hans-Artur Bauckhage stehen die Verbandsgemeinden überhaupt auf dem Prüfstand. Eine Verwaltungsebene streichen ohne Verlust an Bürgernähe, heißt für ihn die Devise. Bei Ministerpräsident Kurt Beck steht das Thema Kommunalreform in dieser Wahlperiode nicht auf der Tagesordnung. Stattdessen fasste das Kabinett im April 120 Beschlüsse, um den allgemeinen Paragrafen-Dschungel wenigstens etwas zu lichten. Die Zahl der Landesgesetze und -verordnungen ist seit Mitte der 80er Jahre um mehr als 300 auf 1170 verringert worden, die Zahl der Verwaltungsvorschriften seit 1991 auf 430 halbiert. Beck räumt gleichwohl ein, dass er mit dem Abbau von Bürokratie eigentlich schon weiter sein wollte. Bemängelt wird vom Steuerzahlerbund, dass es viel zu wenig Arbeitsteilung zwischen den Kommunen gibt: "Jeder will möglichst alles vorhalten." Die Sparpotenziale von Kooperationen seien noch gar nicht angegangen worden. Während von jedem Arbeitnehmer täglich Mobilität und Bereitschaft zur Veränderung verlangt werde, setze man bei Kommunen und Verwaltung nur auf freiwillige Wege, bemängelt Pferdekemper. Dabei ist es für ihn eine alte Erkenntnis, dass sich Bürokratie immer neu erfindet, um ihre Daseinsberechtigung zu zeigen. Ein jüngstes Beispiel sieht er im EU-Energiepass, der ab 2006 für Wohnhäuser und öffentliche Gebäude verbindlich werden soll, um die Energie-Effizienz zu beurteilen. "Statt Abbau kommen beim Bürger immer neue Vorgaben an", kritisiert er. Entbürokratisierung, dass bedeutet für den Speyerer Verfassungsrechtler Professor Hans Herbert von Arnim eine Fülle von Anläufen und Papieren, die jedoch kaum etwas bewegt haben: "Es gibt ein massives Beharrungsvermögen." Der Verwaltungsapparat zeige sich am Ende als eine "organisierte Unverantwortlichkeit". Niemand sei mehr für irgendetwas verantwortlich, der Bürger blicke nicht mehr durch, sagt von Arnim. Der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Carl Böhret fordert, dass Behörden Dienstleister werden. Verwaltung müsse reformiert und auf Kernaufgaben konzentriert werden. Doch auch seine Erfahrung lehrt ihn, dass dies meist nur mit Druck anzustoßen ist.

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