Arbeitswelt blendet Familie aus

MAINZ. Beruf und Familienwelt unter einen Hut zu bekommen, bleibt für viele Frauen und Männer ein zu großer Spagat. Betriebe müssen zu ihrem eigenen Vorteil umdenken, fordert der Mainzer Soziologe Norbert Schneider. Meist werde noch erwartet, dass die Familie hinter dem Beruf zurücksteht.

Der Nutzen einer familienorientierten Arbeitswelt und Unternehmenskultur liegt auch für Arbeitgeber auf der Hand, wie Studien und viele Erfahrungen zeigen: Steigende Produktivität und Leistungsbereitschaft, weniger Fehlzeiten und Fluktuation. In den USA wollen viele bekannte Firmen auf die Liste der 100 familienfreundlichsten Unternehmen, berichtete Familiensoziologe Professor Norbert Schneider bei einem Fachkongress an der Uni Mainz. Flexible Arbeitszeiten, das Organisieren von Notfallhilfen bei Krankheit oder der Frauenanteil in Führungspositionen zählen zudem beim Rekrutieren von Mitarbeitern. Deutschen Unternehmen fehlt es laut Schneider dagegen meist an Problembewusstsein und der richtigen Einschätzung der positiven Wirkung einer ausgeglichenen Balance zwischen Arbeit und Leben für Mitarbeiter und Firma. Seine jüngste Studie zur Familienfreundlichkeit der Betriebe in Rheinland-Pfalz (der TV berichtete) zeigt, dass es damit an den Werkstoren meist ein Ende hat. Viele Unternehmer gehen demnach zwar davon aus, dass Rücksicht auf familiäre Belange positiv ausstrahlt, denken in ihrer Firma jedoch aus Scheu vor Kosten nicht an Änderungen. "Doch es geht nicht um teure große Investitionen, sondern um viele kleine Lösungen und mehr Flexibilität", sagt Schneider. Dabei sollte auch im Mittelpunkt stehen, Männern verstärkt Familienarbeit zu ermöglichen."Unternehmen müssen umdenken"

Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags räumt ein, dass Unternehmen umdenken müssen. Vor dem Hintergrund des absehbaren Bevölkerungsrückgangs ist es für die Wirtschaft auch ein Stück Selbsterhaltung, auf Kinder und Familie zu setzen. Nachwuchs dürfe kein Grund für einen Karriereknick sein. Braun hält es für denkbar, dass Mütter beim Kündigungsschutz Bonus-Punkte erhalten könnten. "Alte Rollen-Verständnisse aufbrechen", fordert DGB-Landeschef Dietmar Muscheid. Der Verteilung der Arbeitszeit komme eine Schlüsselfunktion zu. Auch Väter wollten mehr Zeit für Familie haben und nicht nur allzeit verfügbare Mitarbeiter sein. Das geplante Elterngeld auch an Männer zu zahlen, sei ein richtiger Ansatz. Familienorientierte Ansätze und flexible Arbeitszeiten gerade in kleinere Betriebe einzubringen, ist besonders schwierig. Dennoch soll das Thema nach Angaben von Carl-Ludwig Centner von der Handwerkskammer Trier verstärkt propagiert werden. So ist in einem Modellprojekt in Trier-Nord geplant, betriebsnahe Kinderbetreuung zu organisieren. Auch wenn sich bereits in vielen Köpfen ein Bewusstsein gebildet hat, die Gegensätze von Familie und Beruf zu überwinden, fehlt es oft an der praktischen Umsetzung. Familienministerin Malu Dreyers Appell an die Wirtschaft, mehr Mut bei "lohnenden Investitionen" in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu zeigen, hat bisher noch nicht in erhofftem Umfang gefruchtet.Umsteuern greift erst nach 20 Jahren

Erst rund 15 Betriebe haben für ihre Mühen bislang ein Zertifikat "Beruf&Familie" der Hertie-Stiftung erhalten. Mit 70 Unternehmen laufen Gespräche. Soziologe Schneider befürchtet denn auch, dass es 20 Jahre dauert, bis ein Umsteuern greift. Unternehmen müssten begreifen, dass Familienfreundlichkeit weder Privatangelegenheit, noch soziale Maßnahme oder reine Frauenförderung sei. Vielmehr geht es aus seiner Sicht um eine Investition in die Zukunft und eine Unternehmenskultur, von der beide Seiten profitieren.

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