Auf einem schmalen Grat

Aktive und passive Sterbehilfe, Sterbebegleitung, Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen, Euthanasie: Schon die Vielzahl an Begriffen zeigt, wie kompliziert die Materie ist, wenn es um den Willen von Menschen geht, zu sterben - und den Umständen, wie es dazu kommt. Im Folgenden wird versucht, die Verwirrung aufzuklären, ohne Anspruch, alle juristischen Verästelungen im Detail zu erfassen.

Trier. Sich selbst zu töten, ist in Deutschland nicht strafbar. Es gibt schlicht keinen Tatbestand, der die Strafbarkeit eines Suizids vorsieht. Anders als in der Schweiz gibt es aber auch kein festgeschriebenes "Recht" auf Selbsttötung. Das klingt theoretisch, ist es aber nicht. Wäre Selbsttötung strafbar (was in England bis Anfang der 60er, in Teilen der USA sogar bis Anfang der 90er Jahre noch so war), müsste zum Beispiel der "Täter" bei einem fehlgeschlagenen Versuch mit einer Strafe rechnen.Wichtig ist die Straflosigkeit auch im Hinblick auf weitere Beteiligte. Weil der Suizid keine Straftat ist, kann auch die Beihilfe dazu nicht strafbar sein. Also etwa das Vorbereiten oder das Beschaffen notwendiger Utensilien. Juristisch entscheidend ist, dass der Mensch, der sich selbst tötet, die "Tatherrschaft" besitzt. Will heißen, dass er den entscheidenden Schritt eigenhändig und ohne Zwang tut, sich beispielsweise selbst das Gift einflößt, das ihm ein Helfer zuvor besorgt hat. Hier setzt übrigens der Gesetzentwurf der CDU-Länder im Bundesrat ein. Sie wollen die prinzipiell straflose Beihilfe dann als Straftat einstufen, wenn sie durch organisierte Institutionen, also beispielsweise Vereine wie die Schweizer "Dignitas" geleistet wird. Aber auch ohne neues Gesetz ist die Sache komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Denn die deutsche Justiz hat eine höchst umstrittene, aber durch die Rechtssprechung überwiegend (noch) abgedeckte Konstruktion erfunden, die dafür sorgt, dass die Beihilfe zum Suizid doch strafbar werden kann. Sie geht nämlich davon aus, dass ein Mensch, der sich selbst tötet und dabei, etwa durch Ohnmacht, noch vor dem Ableben die Kontrolle über den Vorgang verliert, sich die Sache theoretisch noch einmal anders überlegen könnte. Daraus resultiert für einen bei der Selbsttötung Anwesenden die Pflicht, sofern genügend Zeit dafür bleibt, den Suizid-Willigen wieder zurückzuholen oder Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Tut er das nicht, macht er sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Das ist auch der Grund, warum sich beispielsweise der ehemalige Hamburger Justizsenator Kusch in seinem spektakulären Fall von Beihilfe aus dem Zimmer der 79-Jährigen zurückgezogen hat, für die er das Gift zuvor bereitgestellt hatte. Noch schwieriger wird es, wenn die Suizid-Unterstützung von einem Arzt kommt. Der riskiert damit schon standesrechtlich seine Existenz, denn die Approbations-Ordnung untersagt ihm strikt jede Mitwirkung und verpflichtet ihn rigoros zum Lebensschutz. Darüber hinaus führt seine herausgehobene Rolle zu einer "Garantenstellung" gegenüber dem Patienten. Dadurch wird er im Fall der Fälle nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern (weit härter) wegen Totschlags durch Unterlassen bestraft. Das alles hat mit "Sterbehilfe" im eigentlichen Sinn noch nichts zu tun. Denn bislang geht es immer um Selbst-Tötung. Als "passive Sterbehilfe" bezeichnet man den Vorgang, den Tod eines Menschen ohne dessen eigenes Zutun, durch das Unterlassen rettender Maßnahmen, herbeizuführen. Zum Beispiel durch den Verzicht auf notwendige Medikamentierung, künstliche Beatmung oder Sonden-Ernährung.Rechtlich ist das ein schwieriges Terrain. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Willen des Patienten zu. Grundsätzlich gilt, dass auch rettende und lebenserhaltende medizinische Eingriffe seiner Zustimmung bedürfen. Verweigert er sie ausdrücklich und ist dabei erkennbar geistig auf der Höhe, ist der Arzt verpflichtet, sich an den Patientenwillen zu halten. Dabei gilt auch als "passiv", dass er eine bereits begonnene Behandlung durch eigenes aktives Handeln beendet, also etwa eine Sonde abhängt. In diesem Bereich ist die stärkste Grauzone, weniger aus rechtlichen denn aus praktischen Gründen. Gerade Patienten in einem solchen Stadium sind oft nicht in der Lage, sich klar zu artikulieren. Hier könnte eine Patientenverfügung wirksam werden. Aber darüber verfügen viele nicht, und ihre juristische Bindungswirkung ist mangels eindeutiger Gesetzesgrundlage umstritten. Dazu kommt, dass den Arzt auch hier strengere Standesrichtlinien einschränken. Das gilt auch für die Frage einer Medikamentierung, die dem Patienten selbst stärkste Schmerzen nimmt, seine Lebensdauer aber aufgrund ihrer Wirkung erheblich verkürzen kann. Die neuere Rechtssprechung erlaubt diese Form "indirekter Sterbehilfe" als gerechtfertigte Nothilfe, und viele Ärzte praktizieren es auch. Aber sie bewegen sich damit standesrechtlich auf schmalem Grat. Am eindeutigsten ist in Deutschland die "aktive Sterbehilfe" geregelt, sprich: die Durchführung von aktiv lebensverkürzenden Maßnahmen durch eine fremde Person auf Wunsch des "Opfers". Sie ist nach Paragraf 216 des Strafgesetzbuches verboten und wird mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft. Mit Ausnahme der Benelux-Staaten gilt das überall in Europa ähnlich. Extra Sterbehilfe: Wenn ein Mensch stirbt, macht das traurig. Niemand will einen Freund oder Verwandten verlieren. Doch manche Menschen möchten nicht mehr leben und wünschen sich unbedingt den Tod. So geht es einigen Schwerkranken zum Beispiel. Weil sie wissen, dass sie nie mehr gesund werden und es ihnen immer schlechter gehen wird. Manche alte Menschen haben Angst, bald nicht mehr für sich selbst sorgen zu können. Wenn diese Menschen sich selbst töten wollen - darf man ihnen dann dabei helfen? Solche Hilfe wird Sterbehilfe genannt. Es ist ein sehr schwieriges Thema: Was genau darf der Helfer? Und was darf er auf keinen Fall? Ärzte, Politiker und andere Menschen streiten immer wieder erbittert darüber. Auch zurzeit. Denn einige Bundesländer machen sich für ein neues Gesetz stark. Sie wollen verhindern, dass jemand mit Sterbehilfe Geld verdient - er also Geschäfte macht. Außerdem wollen sie Extra-Vereine oder Organisationen für Sterbehilfe verbieten.

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