Der Richter als Schlichter

TRIER. Es ist der Alptraum jedes Beschäftigten: Kündigung, Abmahnung, Ärger um die Eingruppierung oder das Zeugnis, Streit um die Lohnzahlung. Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einigen können, ist das Arbeitsgericht gefragt.

Beim Arbeitsgericht Trier muss man früh aufstehen. Jedenfalls, wenn man zur Kammer von Karl-Heinz Radünzel gehört. Schlag halb neun beginnen die Verhandlungstage, und wenn sich die Parteien langsam im Verhandlungssaal in der Dietrichstraße einfinden, sitzt der Vorsitzende längst im spartanisch eingerichteten Beratungsraum und bespricht mit seinen beiden ehrenamtlichen Beisitzern - sie werden paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden nominiert - die anstehenden Verfahren.Freitags Gütetermine, Mittwochs Verhandlung

Jeden Mittwoch geht das so. Mittwochs stehen bei Radünzels Kammer jene Fälle an, die bereits einen erfolglosen Gütetermin hinter sich haben. Das Arbeitsgericht ist qua Gesetz dazu verpflichtet, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken - "zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens", wie der Vorsitzende nicht müde wird, zu erläutern. So werden die Streithähne in der Regel zunächst zur Kompromiss-Suche unter einzelrichterlicher Anleitung eingeladen, bevor die komplette Kammer zur Verhandlung schreitet. Und auch dort unterbreitet das Gericht ein übers andere Mal vermittelnde Ideen oder versucht, die Parteien zu eigenen Einigungsvorschlägen zu motivieren. So wichtig ist dem Staat die gütliche Regelung, dass er sogar auf die Erstattung der Gerichtskosten verzichtet, wenn der Kläger - meist der Arbeitnehmer, obwohl auch Arbeitgeber klagen dürfen - und der Beklagte ohne strittigen Richterspruch zu Potte kommen. Fast die Hälfte der Fälle findet zu diesem erfolgreichen Abschluss, ein weiteres Drittel erledigt sich "von selbst", zum Beispiel durch Fristversäumnisse der Parteien oder Klagerücknahmen. Bleiben aber immer noch zehn bis 15 Prozent, die bis zum "bitteren Ende" geführt werden. Angesichts von mehr als 2600 Verfahrenseingängen, die die vier Berufsrichter beim Trierer Arbeitsgericht jährlich zu bewältigen haben, ein gewaltiger Brocken. Die "Streitkultur" ist dabei durchaus unterschiedlich. In den meisten Fällen gehe es sachlich zu, berichtet Karl-Heinz Radünzel. Oft sind auf beiden Seiten Rechtsbeistände mit von der Partie, so wie beim Streit um eine ausstehende Bonuszahlung an den ehemaligen Vertriebsleiter eines Trierer Industriebetriebs. Das Unternehmen hat inzwischen den Standort geschlossen, ordentliche Abfindungen wurden gezahlt.Kampf um jeden Euro

Doch aus dem letzten Arbeitsjahr fehlt noch eine vertraglich abgesprochene Prämie. Rund 1500 Euro will der Mitarbeiter. Die Besitzer des Unternehmens - sie kommen aus Übersee - sehen keine rechtliche Grundlage für eine Bonuszahlung. Richter Radünzel hat sich einen, wie er sagt, "schönen Vorschlag überlegt", er bringt 1000 Euro ins Gespräch. Schließlich habe der Arbeitnehmer nur noch zwei Drittel des Jahres gearbeitet. Es wird geschachert wie auf dem türkischen Markt, 500 Euro bietet der Firmen-Jurist, zweimal wird die Sitzung unterbrochen, letztlich liegt die Differenz noch bei 50 Euro. Man kommt sich vor wie bei Tarifverhandlungen, mit dem Richter als Schlichter. Am Ende vergleicht man sich bei 750 Euro, mit dreiwöchiger Widerrufsfrist, denn der Unternehmensvertreter muss erst die Zustimmung seines Mandanten einholen. Nicht immer kann das Arbeitsgericht auf Einsicht hoffen. Ein Glasereibetrieb hat einen Mitarbeiter seit 1996 mit insgesamt elf befristeten Verträgen angestellt, die meisten davon ohne Unterbrechung. Solche "Kettenverträge" waren zum entsprechenden Zeitraum rechtlich unzulässig, der Mitarbeiter genießt längst Kündigungsschutz. Die Kammer sagt deutlich, in welche Richtung sie tendiert, aber die Firma will offenbar keinen Vergleich. So kommt es am Ende des Verhandlungstages zu einem Urteilsspruch, und der Arbeitnehmer bekommt Recht. Genau so wie ein Bundeswehr-Angestellter, dem die beklagte "Bundesrepublik Deutschland" eine Zulage gestrichen hat, ohne das dafür gesetzlich vorgeschriebene Prozedere hundertprozentig einzuhalten. Die Beteiligten sehen es sportlich, man geht mit freundlichem Händedruck auseinander. Wenn's sein muss, gibt es immer noch die nächste Instanz, das Landesarbeitsgericht. Manchmal geht es weniger locker zu. Der gekündigte Personaldisponent einer Zeitarbeitsfirma und sein ehemaliger Chef würdigen sich kaum eines Blickes, selbst ihre Anwälte packen die Giftschleudern aus. Die Kündigung war offenbar mit massiven Vorwürfen garniert, der Mitarbeiter fühlt sich gemobbt. Die fristgemäße Kündigung will er nicht bekommen haben, die Zustellungs-Quittung einer Privatfirma, die der Arbeitgeber vorlegt, zweifelt er an. Mindestens drei Monatsgehälter Abfindung klagt er ein, das Gericht schlägt ein Monatsgehalt vor, plus die Rücknahme der mit der Kündigung verbundenen Vorwürfe. "Das wäre der Spatz in der Hand", sagt Richter Radünzel mit beschwörender Stimme.Kein Interesse am Spatz in der Hand

Aber für Kompromisse ist der Frust beim Kläger offenbar zu groß. Er lehnt ab. Das Gericht muss einen neuen Termin mit Zeugen anberaumen, um das Mysterium der nicht angekommenen Kündigung zu klären. Und selbst dann scheint ein Vergleich nicht in Sicht. "Dieser Fall wird noch viele Juristen beschäftigen", prophezeit die Kläger-Anwältin düster. "Wir können gern bis zum Bundesarbeitsgericht gehen", versetzt ihr Kontrahent von der Beklagten-Seite. Da dürfte selbst die geballte Vermittlungskunst der ersten Kammer des Arbeitsgerichtes Trier ins Leere laufen.

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