"Die Reißleine nicht gezogen"

MAINZ. Harsche Kritik an der Finanzpolitik des Landes übt Kommunalexperte Rudolf Oster. Prestigeobjekte würden auf Kosten der Gemeinden finanziert, sagt der Leiter der Kommunalabteilung des Innenministeriums, der sich diese Woche in den Ruhestand verabschiedete, im Interview mit dem Trierischen Volksfreund.

Die Verschuldung der Kommunen steigt und steigt. Was läuft schief bei den Gemeindefinanzen?Oster: Das Land und manche Kommunen gehen mit öffentlichen Geldern schluderhaft um. Die Kommunen und Kreise schieben Kassenkredite von 2,6 Milliarden Euro vor sich her. Das sind "Konsumschulden", die jährlich mindestens 70 Millionen Euro Zinsen verschlingen. Und das Land finanziert zu viele Prestigeprojekte aus dem kommunalen Finanzausgleich. Welche Investitionen meinen Sie konkret?Oster: Ich bin zwar glühender Fan des 1. FC Kaiserslautern. Doch das Land konnte sich zum Beispiel den Ausbau des Stadions am Betzenberg (rund 55 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen, Anmerkung der Red.) eigentlich gar nicht leisten. Die Hälfte des Landesanteils kommt aus dem kommunalen Finanzausgleich. Weil ein Zuschussantrag gestellt wurde, habe ich damals bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier eine baufachliche Prüfung in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war, dass Rechnungen nicht korrekt dargestellt und Ausgaben zu niedrig angesetzt waren. Am Ende fehlten 19 Millionen Euro. Ich habe die Ministeriumsspitze informiert, aber die hat nicht reagiert und nicht die Reißleine gezogen. Also besser keine WM für Kaiserslautern?Oster: Der WM-Standort ist politisch gewollt. Wir finanzieren dort den Ausbau auf Kosten des kommunalen Finanzausgleichs für fünf Spiele. Ich wage nicht daran zu denken, wenn der FCK absteigen sollte. Der Verein muss drei Millionen Euro Stadionmiete im Jahr bezahlen. Wie sollte das in der zweiten Liga funktionieren? Am Ende bleibt die Stadt als Stadioneigentümer auf den Kosten sitzen. Und Kaiserslautern ist Empfängerin von Bedarfszuweisungen. Das heißt: Die Fehlbeträge werden dann wieder beim kommunalen Finanzausgleich geltend gemacht. Wo wird aus Ihrer Sicht noch Geld leichtfertig ausgegeben?Oster: Wir können uns auch die Bundesgartenschau 2011 in Koblenz nicht leisten. Allein das Land hat 49 Millionen Euro aus dem kommunalen Finanzausgleich, also der Finanzmasse für alle Kommunen, zugesagt. Mit solchen Projekten übernehmen wir uns. Ähnliches gilt auch für die Tourismus-Projekte rund um den Römerwall Limes. Da werden in Gemeinden Millionen investiert, die gleichzeitig Empfänger von Bedarfszuweisungen sind, also auf die so genannte "Sozialhilfe" für die Kommunen angewiesen sind. Das Land verteilt also Wohltaten auf Kosten der Kommunen?Oster: Richtig. Es wird mit dem Geld geaast, obwohl gar keins mehr da ist. Gleichzeitig kann fast jede zweite Gebietskörperschaft ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen, und ausgerechnet die Bedarfszuweisungen sinken immer weiter. Trotzdem werden weiter viele Projekte angegangen, weil es so hohe Zuschüsse vom Land gibt. Was müsste geschehen?Oster: Das ganze Zuschuss-System müsste umgekrempelt werden. Es müssten weniger Zweckzuschüsse für bestimmte Vorhaben und dafür mehr allgemeine Zuwendungen zur Finanzierung der Gemeinden vergeben werden. Aber dann gäbe es ja keine Schecks und Bewilligungsbescheide mehr durch die Minister zu verteilen. Außerdem werden zugesagte Verpflichtungsermächtigungen immer mehr zu einer neuen "Währung". Das ist reine Verschuldung auf die Zukunft. Das ist keine seriöse Finanzpolitik des Landes mehr. Könnte eine Kommunalreform Entlastung bringen?Oster: Einzelne Landkreise, Städte und Gemeinden sind gar nicht eigenständig lebensfähig und seit Jahren auf Bedarfszuweisungen angewiesen. Wir brauchen andere Strukturen. Statt zwölf kreisfreier Städte brauchen wir nur eigenständige Oberzentren. Außerdem könnte die Zahl der 24 Kreise und 163 Verbandsgemeinden halbiert werden, um eine effiziente Verwaltung zu schaffen. Eine solche Reform muss sorgfältig vorbereitet und gerichtsfest sein. Bislang ist in dieser Richtung nichts geschehen. In der nächsten Wahlperiode ist mit einer Reform nicht zu rechnen. d Das Interview führte unser Redakteur Joachim Winkler.

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