Ende einer Geduldsprobe

TRIER. Ende eines Mammut-Verfahrens: Am 77. Verhandlungstag schickte die 1. Große Strafkammer des Trierer Landgerichts den Angeklagten Stefan B. für sechs Jahre hinter Gitter. Wegen 17 Fällen von vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Betruges und mehrerer "Nebendelikte".

Am Ende, bei der mündlichen Urteilsbegründung, brachte der Vorsitzende Richter Albrecht Keimburg den Eindruck des Gerichts auf den Punkt: Stefan B. sei ein Fall von "organisierter Ein-Mann-Kriminalität". Detailliert ging die Kammer auf die "Masche" des Angeklagten ein: Immer wieder habe B., als gelernter KFZ-Gutachter ein Mann vom Fach, an Trierer Kreuzungen mit unklaren Vorfahrtsituationen und schwierigen Verkehrsströmen gelauert, um Unfälle zu provozieren, an denen jeweils sein Unfallgegner die Schuld trug. Anschließend sprang B. aus dem Auto, dokumentierte professionell den Schaden und klagte Schadenersatz ein - in manchen Fällen in horrender Höhe. Dabei nutzte er einige Stellen sogar mehrfach. 17 Fälle innerhalb von fünf Jahren hielt das Gericht letztlich für nachgewiesen - es waren längst nicht alle, an denen B. beteiligt war. Von der "chronologischen Dichte" war in der Urteilsbegründung die Rede, die keinen Zweifel an der Schuld lasse. B. sei "weder ein Pechvogel noch ein Kranker, sondern ein skrupelloser Straftäter", sagte Richter Keimburg. Vor allem das von der Kammer angesprochene "Netzwerk der Verwertung" mit Strohmännern und -firmen, die B's Namen heraushielten und das "Eintreiben" erleichterten, trug zu der mit sechs Jahren Gefängnis verhältnismäßig harten Strafe bei.Bisweilen ein "brillanter Spieler"

Mit einem frühzeitigen Geständnis hätte der heute 42-Jährige, der seit über zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt, sein Strafmaß fraglos deutlich senken können. Aber er beharrte bis ins Schlusswort hinein auf seiner Unschuld. Dabei vermittelte er Prozessbeobachtern weniger den Eindruck eines verzweifelt um seine Reputation kämpfenden Menschen als den eines professionellen, bisweilen brillanten "Spielers", der alle Möglichkeiten im Clinch mit der Justiz zu nutzen suchte. 77 lange Verhandlungstage wurden für die Verfahrensbeteiligten (drei Berufsrichter, drei Schöffen, Staatsanwalt, Verteidiger, Angeklagter, Gutachter, Gerichtspersonal) zu einer strapaziösen Geduldsprobe - und für die Gerichtskasse zu einem Kostenfaktor von (geschätzt) mehreren hunderttausend Euro. Das Gericht, zunächst unter Leitung von Irmtrud Finkelgruen, dann von Albrecht Keimburg, arbeitete so akribisch, dass es einem Nicht-Juristen schon als detailversessen erscheinen mochte. Man wollte sich nicht mit der Erkenntnis begnügen, dass eine derartige Unfallserie unmöglich ein Zufall sein kann. So warf man zum Ende alle nicht endgültig aufklärbaren Punkte aus der Anklage heraus - was blieb, war dennoch eine erdrückende Beweislast. Dass das zweijährige Verfahren die Kammer auch emotional berührt hat, wurde in der massiven Kritik am Verhalten des Angeklagten und seines Anwalts während des laufenden Prozesses deutlich. So habe man versucht, gegen die Opfer der fingierten Unfälle weiterhin Ansprüche geltend zu machen, als der kriminelle Hintergrund längst deutlich geworden sei. Von "Verstrickung" sprach der Vorsitzende und rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Stefan B. kündigte noch im Gerichtssaal an, Revision gegen das Urteil einzulegen.

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