Es wird sehr eng

Bessere Bildungsperspektiven und höhere Chancen auf dem Lehrstellenmarkt versprechen sich Eltern, wenn der Nachwuchs zum Gymnasium geht. Der stetig steigende Zulauf bringt nicht nur den Schulen Probleme, sondern entzweit auch Bildungsexperten.

Mainz. Fach- und Kursräume werden zu Klassensälen umfunktioniert, die Einrichtung von Dependance-Standorten diskutiert oder die Errichtung neuer Schulen gefordert: Wachsender Andrang macht Gymnasien fast schon zur Regelschule und zwingt Schulverwaltung und die meist kommunalen Schulträger zum Handeln. Um rund zwölf Prozent haben in den letzten vier Jahren die Schülerzahlen an den Gymnasien im Schulaufsichtsbezirk Trier zugelegt. Einzig das Gymnasium Traben-Trarbach (-22) und das Thomas-Morus-Gymnasium Daun (-7) verzeichneten zu diesem Schuljahr ein leichtes Minus. Raumangebot ist erschöpft

Dagegen gab es allein in der Stadt Trier ein Plus von 146.Die Nachfrage bei den aktuell laufenden Tagen der offenen Tür an den Gymnasien zeigen laut Hildegard Stover von der Schulaufsicht der ADD in Trier, dass der Trend weiter nach oben geht. Die Raumkapazitäten sind bereits ausgeschöpft. "Es wird sehr eng", weiß Stover und hat die Stadt als Schulträger schon mal vor einem "heißen Frühjahr" vorgewarnt. An den anderen Gymnasien der Region wie an den Standorten Wittlich oder Daun rechnet sie mit weniger großen Schwierigkeiten, auch wenn an allen Schulen in den vergangenen Jahren die Nachfrage teilweise enorm gewachsen ist. Für das Mainzer Bildungsministerium ist eine Übergangsquote von mehr als 36 Prozent zum Gymnasium laut Staatssekretärin Vera Reiß zwar keineswegs beunruhigend. Gleichwohl sollen verstärkt Alternativen aufgezeigt werden. So soll der Ausbau Integrierter Gesamtschulen gefördert werden, weil für diese Schulart bereits lange die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das Land hat zudem einen Stufenplan zum Ausbau der beruflich orientierten Gymnasien an den Berufsbildenden Schulen (BBS) vorgelegt. Mit der Reform der BBS wurde 2004 nach Angaben von Reiß nicht zuletzt der Zugang zur Fachhochschulreife verbessert, die aus ihrer Sicht in Rheinland-Pfalz noch viel zu wenig als praxisorientierter Abschuss für zukunftsträchtige Studienfächer angesehen wird. Auch von der Schulreform mit der geplanten Realschule plus, die bei Bedarf zur Fachhochschulreife führen kann, erhofft sie sich eine für Eltern überzeugende Alternative zum Gymnasium. Vor allem in Städten seien die Übergangszahlen zum Gymnasium "dramatisch", sagt Landesvorsitzender Tilman Boehlkau von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Für diesen Ansturm seien die Schulen nicht ausgelegt. Auch wenn er die Entwicklung hin zu höheren Abschlüssen positiv sieht, übt er auch Kritik am Gymnasium als Teil des dreigliedrigen Schulsystem, das er mit als Ursache für die allseits reklamierte starke soziale Benachteiligung im deutschen Schulsystem sieht. Wenn das Gymnasium zur Quasi-Regelschule wird, kommt das ganze System endgültig ins Rutschen, fürchtet Schulleiter Max Laveuve, Vorsitzender des Philologenverbandes. Erheblich steigende Anmeldezahlen setzt er mit einem wachsenden Anteil überforderter Schüler gleich und warnt vor der Gefahr von Nivellierung und sinkendem Niveau. Dass in Deutschland nach seinen Angaben im Schnitt fast jede Woche eine Privatschule öffnet, bei der für Schulbesuch ge zahlt werden muss, hält er für höchst problematisch. Hildegard Stover nimmt dagegen die Gymnasien in die Pflicht. Sie fordert mehr differenzierte Förderung sowie bessere Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Eltern. Wenn an einzelnen Schulen noch immer weitgehend Frontalunterricht praktiziert werde, bleibe die individuelle Förderung auf der Strecke, mahnt sie.

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