Heilen ohne Erlaubnis

TRIER. Darf ein in Frankreich ausgebildeter und anerkannter Arzt in einem Fachgebiet, das in Deutschland dem Aufgabenbereich der Heilpraktiker zugeordnet ist, Patienten betreuen? Mit dieser Frage muss sich die Trierer Justiz derzeit auseinander setzen.

Wenn die kleine Strafkammer am Trierer Landgericht tagt, dann bleiben die Zuschauerränge meist leer. Spektakuläre Fälle sind eher die Ausnahme. Und so staunt der Dienst habende Justizwachtmeister über den plötzlichen Andrang im Gerichtssaal.Spezialist mit hohem Ansehen

Fast eine halbe Hundertschaft ist an diesem Vormittag gekommen, die meisten sehen einen Verhandlungsraum offenkundig zumersten Mal. Einer hat sogar einen Hund dabei, aber der muss draußen bleiben, von wegen Würde des Gerichts. Das Interesse der Öffentlichkeit gilt dem Angeklagten Dr. Jean-Paul Pianta. Ein charismatisch wirkender Mann, Ende 50, mit grauer Mähne und gepflegtem Drei-Tage-Bart. Gemeinsam mit seinem Kollegen Pascal T. wird ihm ein Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz vorgeworfen, oder wie es Staatsanwalt Peter Fritzen formuliert: die "Beihilfe zur erlaubnislosen Ausübung der Heilkunde". Jean-Paul Pianta ist Chiropraktiker. Diese Form der Heilkunde beschäftigt sich mit der "handgreiflichen" Behandlung von Muskeln und Gelenken, vorrangig im Bereich der Wirbelsäule. In Deutschland wird sie meist von Heilpraktikern oder Krankengymnasten mit Zusatzausbildung angeboten. In Frankreich, aber auch in den USA, gibt es dagegen eine spezielle, weit umfangreichere Ausbildung für Chiropraktik. Pianta hat sechs Jahre studiert und darf in seinem Heimatland den Doktortitel führen. Er gilt ebenso wie Pascal T. als anerkannter und hoch qualifizierter Spezialist, der sogar renommierte Spitzensportler behandelte. Seine Trierer Patienten sind von der Arbeit des chiropraktischen Zentrums, das seinen Sitz am Simeonstiftplatz hatte, immer noch begeistert. "Wenn es nicht am Vormittag wäre, wären heute noch viel mehr da", sagt einer, und die anderen nicken zustimmend. Doch den beiden Angeklagten nutzen die guten Leumundszeugnisse allenfalls auf moralischer Ebene. Juristisch sieht die Sache anders aus. Als Ärzte sind sie in Deutschland nicht anerkannt, als Heilpraktiker müssten sie erst mal eine ordentliche deutsche Prüfung ablegen. Die aber fehlt, und deshalb hat sie das Amtsgericht Trier im Juli zu Geldstrafen von je 80 Tagessätzen verurteilt.Der Europäische Gerichtshof soll entscheiden

Piantas Argument, das deutsche Heilpraktikergesetz sei mit europäischem Recht nicht vereinbar, mochte das Amtsgericht nicht folgen. Nun, im Berufungsverfahren vor dem Landgericht, legt die Verteidigung mächtig nach. Das deutsche Recht ignoriere die Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union und diskriminiere Bürger, die in einem anderen EU-Land anerkannte Qualifikationen erworben hätten. Das deutsche Heilpraktikergesetz sei "zu unbestimmt" und "zur Qualitätskontrolle ungeeignet". Zudem lege jede Kommune die Regelungen anders aus. Während ausländische Chiropraktiker beispielsweise in München ohne große Formalitäten eine Genehmigung erhielten, stelle man sich in Trier stur. Das sei "mehr oder weniger willkürlich". Und dann kommt die faustdicke Überraschung: Die Verteidigung beantragt, das Trierer Verfahren auszusetzen und den Fall beim Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorzulegen. Das sorgt erst einmal für eine Unterbrechung der Sitzung. Man wolle "die Sache nicht übers Knie brechen", sagt Richter Gernot Kieselbach nach kurzer Beratungspause, "schließlich ist das nicht unser tägliches Brot". Auch der Staatsanwalt bittet um Auszeit, lässt aber Skepsis erkennen. Es sei nicht der sinnvolle Weg, "Strafvorschriften einfach zu ignorieren und dann übers Strafrecht die Gesetzesregelungen anzugehen". Dafür gebe es die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wie die Entscheidung ausfällt, wird sich erst am nächsten Verhandlungstag, dem 20. Oktober, klären.

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