Jahrelange Hölle

Kurzer Prozess vor dem Trierer Landgericht: Nach dreistündiger Verhandlung stand das Urteil gegen einen 62-jährigen ehemaligen Sprachtherapeuten aus Bernkastel-Kues fest. Er muss für viereinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er 1995 bis 1997 eine damals Siebenjährige in seiner Praxis missbraucht hat.

Trier. Mehr als zehn Jahre hat sie geschwiegen. Hat mit niemandem darüber geredet, was ihr als Kind von einem Freund der Familie angetan worden ist. Der Logopäde, bei dem sie in Behandlung war, hat sie missbraucht - mehr als zwei Jahre lang. Vielleicht konnte sie auch mit niemandem darüber reden. Denn ihr Zuhause war für sie auch jahrelang die Hölle. Irgendwann hat ihre Mutter zusammen mit dem kleinen Bruder den Winzerhof in Bernkastel-Kues verlassen, sie blieb mit ihrer Schwester bei dem Vater. Als 13-Jährige muss sie ihrem Vater im Weingut helfen, macht den Haushalt, kümmert sich um ihre jüngere Schwester. Das Mädchen muss die Mutter ersetzen - und die Ehefrau. Mehr als zweieinhalb Jahre wird sie von ihrem Vater fast täglich zum Sex gezwungen. Vor drei Jahren ist der damals 43-Jährige dafür verurteilt worden: neuneinhalb Jahre Gefängnis.

Erst während der Ermittlungen gegen ihren Vater deutet sie an, dass sie bereits als Kind missbraucht worden ist. Sie hat den Mann gekannt, in dessen Sprachtherapie-Praxis sie 1995 wegen ihres Lispelns geschickt wurde. Er ist ein Freund der Familie, hat öfter mal in der Straußwirtschaft ihrer Eltern Musik gemacht. Irgendwann während der angeblichen Behandlungen ist der damals 50-Jährige immer zudringlicher geworden, hat sie begrapscht, das Mädchen muss sich ausziehen, er missbraucht sie. Zunächst nur in seiner Praxis, später auch in einem Abstellraum nach einem Konzert, das er gemeinsam mit ihr gibt. 36 Mal soll er sich zwischen 1995 und 1997 laut Anklageschrift an dem Mädchen vergangen haben.

Zu dem Zeitpunkt ist der Vater eines erwachsenen Sohnes, der drei gescheiterte Ehen hinter sich hat, bereits wegen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Doch der aus dem Allgäu stammende gelernte Kaufmann wird auch wieder auffällig, nachdem er die siebenjährige Winzertochter missbraucht hat. 2003 muss er zweieinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er sich an einem Jungen vergangen hat - eine Tat, die er bis heute bestreitet.

Hätte die heute 20-Jährige vor drei Jahren nicht den Mut gehabt, über das zu sprechen, was ihr als Mädchen von dem Sprachtherapeuten angetan worden ist, wäre die Tat womöglich niemals gesühnt worden. Bis gestern Morgen hat der 62-Jährige dazu geschwiegen. Vor der Verhandlung lässt er seinen Anwalt wissen, dass er gestehen will. Der Anwalt handelt mit Staatsanwaltschaft und dem Gericht aus, dass ihm keine zu hohe Strafe droht, wenn er ein Geständnis ablegt - immerhin könnte das Gericht ihn bis zu acht Jahren ins Gefängnis schicken. Dadurch bleibt der 20-Jährigen, die mittlerweile Medizin studiert, der Gang in den Zeugenstand erspart und die Verhandlung endet nach drei Stunden. Die Anwältin der jungen Frau, Ruth Streit, fordert fünf Jahre Haft und eine Therapie für den Mann, dem der psychologische Gutachter eine "pädophile Neigung" bescheinigt. Das Gericht belässt es bei einer Gefängnisstrafe: viereinhalb Jahre Haft. Das Urteil ist rechtskräftig.

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