Kranksein: ein tödliches Risiko

MAINZ. "Krankheit darf nicht bestraft werden", fordert der Mainzer Mediziner und Sozialpädagoge Professor Gerhard Trabert. Sozialhilfeempfänger sparen sich nach seinen Erfahrungen zunehmend den Gang zum Arzt. Die Folgen können fatal sein.

"Nimmst du jetzt auch 10 Euro, Doc?" Diese Frage hört Gerhard Trabert seit Anfang Januar immer wieder, wenn er mit dem Arztmobil in der Region Mainz unterwegs ist und die Plätze der Wohnsitzlosen ansteuert. Trabert nimmt keine Praxisgebühr, doch seine Erfahrung lässt den Vorsitzenden des Vereins "Armut und Gesundheit in Deutschland" rebellieren. Für Sozialhilfeempfänger müssen Gebühren und Medikamenten-Zuzahlung schleunigst abgeschafft werden, fordert er. Jüngst musste einer seiner vormals regelmäßigen Patienten mit Magenblutungen in stationäre Behandlung. "Wir hatten vorher die Krankheit mit Medikamenten unter Kontrolle", sagt Trabert. Er fürchtet, dass sich die Fälle häufen werden, in denen Arztbesuche aus Kostengründen oder Unwissenheit vermieden und damit Krankheiten verschleppt werden. Ist dann eine Einlieferung in die Klinik fällig, wird das staatlich verordnete Sparprogramm zum Rohrkrepierer. Einer seiner wohnungslosen Patienten hat ihm bereits erklärt, dass er trotz eines Herzinfarkts und eines Bypasses nur eines kann: zum Arzt gehen und bei den sechs verschiedenen Medikamenten zuzahlen oder Essen kaufen. Die Gesundheitsreform müsse dringend reformiert werden, weil sie unsozial, ungerecht und diskriminierend sei, verlangt Trabert.Reiche leben schon heute länger als Arme

Für Menschen auf der untersten sozialen Stufe, die nach den Ergebnissen vieler Studien ohnehin öfter und schwerer krank sind, werden Gebühr und Zuzahlung zur existenziellen Fragen. Die Sterberate wird zunehmen, ist sich der Mediziner sicher. Bereits jetzt lebt das reichste Fünftel der Bevölkerung im Schnitt sieben Jahre länger als das ärmste. Ein Skandal ist für Trabert, dass Gesundheitskosten bisher bei der Berechnung der Sozialhilfe keine Rolle spielen. Zudem gibt es nach seinen Erfahrungen auf kommunaler Ebene ein mächtiges Durcheinander bei Abrechnung von Arztgebühr und Medikamentenzuzahlung. Während der Kreis Mainz-Bingen beides eintreibt, befreit die Stadt Worms die Sozialhilfeempfänger von den Kosten. Die Stadt Mainz übernimmt nur den Medikamentenanteil. In Trier wird nach Angaben des Sozialamtes nur von wohnsitzlosen Durchwanderern die Praxisgebühr übernommen, wenn sie sich in der Notfallärztlichen Ambulanz des Brüderkrankenhauses behandeln lassen. Alle anderen, die Sozialhilfe beziehen, müssen zahlen, auch wenn sie die Gebühr auf Raten abstottern. Medikamente werden über das Sozialamt abgerechnet.

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