"Niemandem darf es schlechter gehen"

MAINZ. Die CDU muss deutlicher machen, wie sie die Herzog-Vorschläge zur Sozialreform umsetzen will, fordert Partei-Vize Christoph Böhr im Interview. Er soll mit NRW-Parteichef Rüttgers den Leitantrag für den Parteitag im Dezember mit einer Präambel versehen. Am Freitag wird CDU-Chefin Angela Merkel bei einem Regionaltreffen mit den Landesverbänden Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland die Reform diskutieren.

Herr Böhr, Sie sollen zusammen mit Ihrem Kollegen Jürgen Rüttgers die Forderungen der Herzog-Kommission nach sozialen Einschnitten in Watte verpacken. Wie soll das mit einem Besänftigungspapier als Vorwort für einen Leitantrag funktionieren?Böhr: Also, wir verpacken nichts in Watte. Wir wollen unsere sozialen Sicherungssysteme wetterfest machen. Darum geht es. Wenn nichts passiert, ist heute das Jahr absehbar, in dem sowohl unsere Rentenversicherung, als auch unsere Gesundheitssicherung zusammenbrechen werden. Folglich muss es Veränderungen geben, und wir wollen in der Präambel klar machen, dass das Ziel dieser Veränderungen vor allem eines ist, nämlich in Deutschland wieder Bedingungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen. Fünf Millionen Arbeitslose sind ein Offenbarungseid der Politik. Sie propagieren Vollbeschäftigung? Böhr: Es ist wichtig, dass wir am Ziel der Vollbeschäftigung fest halten. Das Ziel zu erreichen ist möglich, wenn die Politik die Weichenstellungen vollzieht. Dazu gehört: Erstens eine Senkung der Lohnzusatzkosten, deswegen die Vorschläge zur Rente und Gesundheit und zweitens eine Steuerreform mit Entlastung vor allem mittlerer und kleinerer Einkommen. Wird es denn noch Änderungen an den Reformvorschlägen durch Ihre Arbeit geben? Böhr: Durch unsere Arbeit wie auch durch die Diskussion, die wir in allen Kreisverbänden haben. Wir selber werden im Land noch drei Regionalkonferenzen zu den Herzog-Kommissionsvorschlägen veranstalten, zu dem alle Mitglieder der CDU eingeladen werden. Es wird eine wichtige Veränderung geben: Wir werden ausführlich beschreiben, was in dem Herzog-Papier sehr knapp abgehandelt ist unter der Forderung eines sozialen Ausgleichs im Rahmen des Prämienmodells. Es kann nicht bei dieser Überschrift bleiben, sondern die Art und Weise, wie dieser Ausgleich erfolgen soll, muss präzise in das Papier hineingeschrieben werden. Kopfpauschale heißt 260 Euro pro Nase. Der notwendige Sozialausgleich wird Milliarden kosten. Wie soll das finanziert werden? Böhr: Diese 260 Euro Gesundheitsprämie sind ein Durchschnittswert. Dafür soll es einen sozialen Ausgleich geben für geringere und mittlere Einkommen. Dieser ausgleich wird steuerfinanziert. Warum steuerfinanziert? Weil allein durch eine Steuerfinanzierung ich die wirklich Leistungsstarken unserer Gesellschaft, die Gutverdienenden, mit einbeziehe. Denn, wenn ich die Belastung wie heute nur umlege auf die Versicherungsmitglieder, komme ich ja an die die privat Versicherten oberhalb der Bemessungsgrenze überhaupt nicht ran. Der Ausgleich über die Steuern ist also gerechter. Aber das heißt auf der anderen Seite, es gibt einen neuen Solidarzuschlag? Böhr: Nein. Es wird aus dem Steueraufkommen so finanziert wie andere Leistungen des Staates. Übrigens gibt es ja Gegenrechnungen bei Herzog, der Wegfall der versicherungsfinanzierten Frühverrentung. Wir reden dabei von 60 bis 100 Milliarden Euro im Jahr. Sozialausschüsse und altgediente Sozialpolitiker wie Blüm und Geißler befürchten einen grundlegenden Systemwechsel bei der Union. Wirft Angela Merkel das Solidarprinzipien über Bord? Böhr: Keinesfalls. Wir haben einen Systemwechsel bei der Gesundheit ab dem Jahr 2013. Wir behalten die alte Umlagefinanzierung bei der Rente aus gutem Grund und wir verabschieden uns mit nichten von der Idee des sozialen Ausgleichs. Im Gegenteil, wir stellen Ihnen auf eine sehr viel breitere Basis und wir beziehen zum ersten Mal die wirklich Leistungsstarken ein. Die CSU schießt bei der Neuausrichtung des Gesundheitssystems quer, und bei Rente und Steuern gibt es insgesamt bei der Union noch viele große Fragezeichen. Dabei gehört doch alles zusammen, um ein tragfähiges Gerüst zu bauen. Böhr: Ja. Die Politik versäumt gelegentlich, diesen Zusammenhang ausreichend darzustellen. Deswegen ist sehr gut zu verstehen, dass viele jetzt Sorgen haben, wie das weitergeht. Aber wir springen ja nicht von der hohen Bordkante ins eiskalte Meerwasser, sondern wir haben bis 2013 ausreichend Zeit das vorzubereiten. Das wichtigste ist ja, dass wir ein Konzept präsentieren werden im Dezember, wo es am Ende niemandem schlechter geht als heute. Dieses Versprechen muss die Politik einlösen. Ein großes Versprechen. Böhr: Aber anders ist es ja gar nicht zu machen. Das Gespräch führte unser Redakteur Joachim Winkler.

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