"O heiliger Bürokratius!"

TRIER/KONZ. Wenn Verwaltungen jede Menge Zeit, Geld und Energie für Bürokratie aufwenden, liegt das nicht unbedingt an der eigenen "Mentalität". Oft binden absurde Vorschriften und lange Instanzenwege die Kräfte.

Den Stoßseufzer "O heiliger St. Bürokratius" kennen beileibe nicht nur geplagte Bürger. Auch Verwaltungschefs wie der Konzer Bürgermeister Winfried Manns können ein Lied von den "Segnungen" der Verwaltungs-, Versicherungs- oder Verfahrensvorschriften singen, die sie einhalten müssen. Ein "Lieblingsfeind" von Manns, der seit kurzem auch als stellvertretender Vorsitzender des Städte- und Gemeindebundes amtiert, ist der bei allen Kommunen gefürchtete Gemeinde-Unfallversicherungsverband, kurz GUV. "Diese Leute kosten uns ein Schweinegeld und jede Menge Zeit", sagt Manns und nennt Beispiele. Im Schulzentrum hat der GUV-Prüfer nach 30 unfallfreien Jahren festgestellt, die Gitter am Schulgeländer seien aufgrund neuer Richtlinien zehn Zentimeter zu niedrig und der Abstand der Gitterstäbe sei fünf Zentimeter zu klein. Auf dem Friedhof Wawern wurde moniert, dass die vor 40 Jahren angelegten und seither problemlos genutzten Terrassen zu gefährlich seien und mit Geländern versehen werden müssten. "Was meinen sie, was für einen Aufwand das bei uns verursacht?", schimpft der für seine klaren Worte bekannte Gemeindechef. Ständig gebe es neue Vorschriften, "und unter denen, die das verordnen, ist keiner, der in der Praxis Verantwortung trägt". Spricht man mit Bürgermeistern, gibt es kaum jemanden, der Manns' Ärger nicht teilt. Aber lebensfremde Vorschriften einfach zu ignorieren, kann sich keiner leisten - zu groß ist die Angst vor Schadenersatzklagen, falls doch etwas passiert. Im Trierer Rathaus muss einmal jährlich ein Elektriker alle Steckdosen kontrollieren - "zuhause käme niemand auf so eine Idee", wundert sich Udo Hildebrand, Leiter des Lenkungsstabs bei der Stadt. Hildebrand kann faszinierende Geschichten vom "Beauftragtenwesen" in der Trierer Stadtverwaltung erzählen. Da gibt es Abfall- und Biosicherheits-Beauftragte, Brand- und Datenschutz-Beauftragte, Gleichstellung-, Gewässer, Immissionsschutz- und Störfall-Beauftragte. "Nicht, weil wir die unbedingt für nötig halten, sondern weil es gesetzlich vorgeschrieben ist", unterhält die Stadt "25 bis 30" Beauftragte. Genauer weiß es selbst der Personalchef nicht. Manchmal führt wenigstens Unkenntnis zur Verwaltungsvereinfachung: "Unser Laden funktioniert nur, weil die Mitarbeiter nicht alle Gesetze und Vorschriften kennen", sagt ein Stadtoberhaupt aus der Region mit Galgenhumor. Aber seinen Namen will er für das Zitat lieber doch nicht hergeben. Was den Kommunalpolitikern ebenso ein Dorn im Auge ist, sind lange Instanzenwege und übermäßige Beteiligungs-Vorgaben. 48 Organisationen aus dem öffentlichen Bereich muss ein Bürgermeister anschreiben, wenn er ein Bebauungsplan-Verfahren in Gang setzt. 48 Mal Korrespondenz, 48 Mal Abgleichen und Ausarbeiten, und dann weiter an Kreisverwaltung, SGD Nord, Sonderbehörden. Ministerien. Beratungen auf allen Ebenen, jeweils wieder Einbeziehung aller Einwände, vor, zurück - das hält pro Vorgang locker 50 Mitarbeiter auf allen Seiten in Bewegung. Es sei "ein Wahnsinn, wer da alles sein Plazet geben muss", sagt auch der Bürgermeister der VG Trier-Land, Wolfgang Reiland. Und bei "einem einzigen Rechtsfehler fängt alles wieder von vorne an". Ähnlich das Prozedere bei Zuschüssen und Zuweisungen: Planung vor Ort, lokale Gremien, SGD, ADD, Ministerium - zum Schluss darf der lokale Abgeordnete den Beschluss feierlich bekanntgeben, bevor der Minister den Scheck überreicht. "Da greift sich der normale Mensch an den Kopf", sagt Manns. Und mit der Bewilligung ist die Bürokratie längst nicht zu Ende: "Wir haben einen riesigen Aufwand, die Verwendungsnachweise für jeden einzelnen Euro zu führen", sagt Reiland. Gehe es dann noch um EU-Richtlinien, "dann ist das für uns kaum mehr zu bewältigen". Morgen in unserer gemeinsamen Serie mit der Rhein-Zeitung: Über Verwaltungsreformen wird bundesweit diskutiert. Aber erfolgreiche Umsetzungen sind dünn gesät.

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