Schleichend in die Armut

TRIER. Schulden sind nur Zahlen. Doch dahinter verbergen sich Existenzen – orientierungslos, oft ungeheuer gestresst und manchmal völlig verzweifelt. Die Bades sind nur eine Familie von vielen im modernen Schuldturm.

Trotz kurzfristig angemeldetem Reporterbesuch: Die Wohnung sieht picobello aus. Eine gut eingerichtete Küche mit dekorativ-zierlichen Topfblumen vor den beiden schmalen Fenstern, die Böden komplett sauber mit Laminat ausgelegt. Keine Spur von Asozialität. Die Bades (alle Namen von der Redaktion geändert) gehören nicht zu den gesellschaftlichen Randgruppen, nicht zu den Zeitgenossen, denen alles egal ist, die im Winter die Wohnungstüren verbrennen und im Sommer wüste Gelage veranstalten. Sie gehören auch nicht zur immer größeren Gruppe derer, die ihre Arbeit verloren haben und sich mühevoll mit Arbeitslosengeld oder neuerdings "Hartz IV" über Wasser halten müssen. Manfred Bade hat eine völlig reguläre, unbefristete Stelle, wird ordentlich, wenn auch nicht üppig bezahlt, und ist von Arbeitslosigkeit genau so viel und genau so wenig bedroht wie alle Arbeitnehmer in der Republik. Wirklich eine ganz normale Familie. Trotzdem sind die Bades in die Schuldenfalle geraten. Das schleichende Unglück begann im Jahre 1994. Scheinbar völlig harmlos. Damals bezogen die Bades ein Haus in einem Vorort von Trier. Die Miete von 1200 Mark war bei 130 Quadratmetern Wohnfläche angemessen und für die damals fünfköpfige Familie auch bezahlbar. Auch für zwei weitere Kinder reichte es finanziell und räumlich. Bis dann der Vermieter vor fünf Jahren das Haus verkaufen musste. Um nicht auf der Straße zu stehen, kaufte Manfred Bade kurzerhand das Haus, zum durchaus angemessenen Preis von 147 000 Euro. Zu 100 Prozent kreditfinanziert. Damit beginnen die Schwierigkeiten. Die Darlehensrate, zunächst bei moderaten 1000 Euro, steigt im Lauf der nächsten Jahre auf dramatische 1700 Euro. Bei einem Gesamteinkommen von 2900 Euro bleiben noch 1200 Euro. Dann dreht sich das Schuldenkarussell immer schneller. Die Bades kommen mit dem Schuldendienst nicht mehr nach. 2004 wird das Haus versteigert und geht für 60 000 Euro an den Meistbietenden. Die Familie steht zunächst ohne Wohnung und mit 82 000 Euro Schulden da. Die Gläubiger pfänden Manfred Bades Gehalt. Das bewegt sich allerdings häufig unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Was bedeutet, dass die Schuld trotz einiger Abzahlungen nicht sinkt. Der moderne Schuldturm ist komplett.Stromzufuhr sollte gekappt werden

Ehefrau Irene Bade macht eine Rechnung auf. Im Juni 2005 beispielsweise bleiben der Familie nach Abzug aller Verbindlichkeiten 330,23 Euro. Auch wenn die Belastung schwankt, mehr als 500 Euro dürfte den Bades selten zur Verfügung stehen. Damit fällt nicht nur der kleine Luxus für die Kinder weg - Kino, Zirkus, Eis, die Limonade zwischendurch - , Irene Bade muss jeden Cent umdrehen und kommt doch nicht zurecht. Vor wenigen Tagen standen Vertreter des Stromlieferanten vor der Tür, verlangten aus offenen Rechnungen 1000 Euro, wollten die Stromzufuhr kappen und waren nur durch Drohungen mit der Öffentlichkeit zum Einlenken zu bewegen. Die jüngste Tochter, im zweiten Grundschuljahr, bringt einen Zettel mit, in dem die Schule 15 Euro für das Schulfrühstück anmahnt, freundlich zwar, aber auch bestimmt. "Mein Mann fährt manchmal mit leerem Magen zur Arbeit", sagt Irene Bade, weil nichts zu essen mehr im Haus sei. Das Standard-Billiggericht Nudeln mit Ketchup steht häufiger auf dem Speiseplan, als allen lieb ist. Und Urlaub findet nur noch auf dem Campingplatz am Moselufer statt. Was ihr entscheidender Fehler gewesen sei? Das Haus zu kaufen, sagt Irene Bade ohne Zögern. Aber man habe ja damals "von Tuten und Blasen keine Ahnung gehabt". Jetzt wollen die Bades Verbraucherinsolvenz anmelden. Ohne ein Insolvenzverfahren würden die Verbindlichkeiten immer weiter wachsen. "Wir wollen nicht, dass die Kinder unsere Schulden übernehmen müssen", sagt Irene Bade. Und sie wollen zumindest im Alter bescheiden zwar, aber auch ruhig und ohne die tägliche, von der Geldnot aufgezwungene Hetze leben. Denn etwas belastet sie wahrscheinlich am meisten: Wie sie trotz der täglichen Engpässe ein Leben führen können, das nicht nur den Schein der Bürgerlichkeit wahrt, sondern tatsächlich der sozialen Normalität entspricht. Wie sie ihre Kinder so fördern können, dass sie trotz der ungünstigen Startbedingungen nicht am unteren Ende der Bildungs- und später der sozialen Hierarchie landen. Sich und die Seinen immer knapp vor der Schwelle zu halten, hinter der ein Sturz ins soziale Abseits stattfindet - das ist der eigentliche Stress der Bades.

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