Vom Grabenkämpfer zum Staatsmann in spe

Wie präsentiert sich ein Mann, den die Demoskopen nur noch wenige Tage von der Präsidentschaft entfernt wähnen? Jene Reporter, die Barack Obama seit Monaten aus der Nähe verfolgen, erleben plötzlich eine deutliche Wandlung. Aus dem Grabenkämpfer, der zuletzt angesichts der Zwänge des Alltags immer wieder in die Tiefen der ernüchternden Wirtschafts-, Steuer- und Gesundheitspolitik eintauchen musste, wird im Endspurt um das Weiße Haus wieder der feinsinnige Staatsmann in spe.

Fort Lauderdale. Man sieht Barack Obama auch aus der Nähe die Mühen des kräftezehrenden, nun schon 17 Monate anhaltenden Wahlkampf-Marathons immer noch nicht an. Weil er sich in den kurzen Pausen zwischen seinen Auftritten fit hält - mit Basketballspielen gegen seine Leibwächter: 30 000 Menschen haben dem schlanken, asketisch wirkenden Mann in dieser Woche in North Carolina zugejubelt, als er sein Schlussplädoyer mit einer rhetorischen Frage einleitet: "Wird es diesem Land in vier Jahren besser gehen als heute?" Die Antwort braucht er erst gar nicht zu geben. Die Menge jubelt und schreit, wie sie auch drei Stunden später in Sunrise, einem Stadtteil von Fort Lauderdale im so wichtigen "Battleground"-Staat Florida, jubeln und schreien wird. Oder in Orlando, als Obama und Bill Clinton erstmals gemeinsam die Bühne betreten. Wieder drängen sich Stunden vor dem ersten gesprochenen Wort Zehntausende um die besten Plätze und schwenken ihre "Change"- und "Hope"-Plakate. Studenten und Senioren, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen.

Obamas Faszination überschreitet Grenzen, die durch Alter, Geschlecht oder Rasse gezogen werden könnten. 85 Prozent der Amerikaner sagen nach zwei Amtszeiten von George W. Bush: Unser Land bewegt sich in die falsche Richtung. Politikmüdigkeit? Ein Wort von gestern. Dank Obama. Die Menschen zieht er wie ein Magnet an, weil sie ahnen, dass hier Geschichte geschrieben wird - und weil der Kandidat kurz vor der Vollendung der vorerst letzten Etappe eines von dramatischen Transformationen geprägten Lebens steht. Vom Sozialarbeiter in den Elendsvierteln der "South Side" zum respektierten Regionalpolitiker in Illinois. Vom Atheisten zum Christen. Vom zunächst steif wirkenden Harvard-Juristen, der Freunden zufolge bei ersten Auftritten seine Zuhörer stets in den Schlaf redete, zum inspirierenden Orator. Und nun, mit zunehmender Wahrscheinlichkeit, vom Senats-Junior zum ersten schwarzen Präsidenten im Weißen Haus.

Vergessen sind jene bangen Wochen zum Ende der "Primaries", als dem Newcomer im Duell mit Hillary Clinton die Luft auszugehen schien. Da waren Zweifel laut geworden, die heute - glaubt man den Demoskopen - längst vom Tisch gewischt sind: Kann der Farbige im Kernland des Mittleren Westens, unter den weißen Farmern und weißen Fabrikarbeitern, punkten? Heute liegt er klar vor seinem Konkurrenten.

Starke Reden könne er halten, aber er sei ein politisches Leichtgewicht, haben ihm die Kontrahenden immer wieder vorgehalten, seit er im Februar 2007 in Springfield, der Hauptstadt seines Heimatstaates Illinois, die Kandidatur verkündet hatte. "Yes we can", hatte er damals den frierenden Zweiflern trotzig immer wieder entgegnet, und manchen seiner Fans dürfte da noch der Glaube an das Unvorstellbare gefehlt haben: dass ein traditionell konservativen Werten verbundenes Amerika bereit sein würde, einen Jung-Senator schwarzer Hautfarbe als Option für das mächtigste Büro ins Auge zu fassen, das diese Welt zu bieten hat.

Das verdankt er auch einem Kernsatz, mit dem er bereits im Jahr 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston ein Raunen unter den Delegierten und Medienvertretern erzeugt hatte. Eine Botschaft, die in den letzten Tagen wieder an strategischer Bedeutung gewann. "Wir sind nicht die roten oder blauen Staaten von Amerika, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir sind alle Patrioten." "Amerika sucht jetzt nach so einem Charakter," kommentierte das Magazin "Newsweek".

Nun kann sich der Kreis schließen für einen Mann, der mit seiner Kühnheit des Denkens neue Träume und frische Hoffnungen darauf geweckt hat, dass es nach acht bitteren Jahren für das Land doch noch Gutes in der Politik gibt.

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