Vom Strippenzieher zur "Rampensau"

Im Schatten Gerhard Schröders groß geworden, steht er nun selbst im Rampenlicht: Frank-Walter Steinmeier ist der Kanzlerkandidat der SPD.

Berlin. Es gab Zeiten, da sah man Frank-Walter Steinmeier am Wochenende mit dem Fahrrad durch Berlin-Zehlendorf gondeln, die kleine Tochter auf Inline-Skates im Schlepptau. Da war er schon der zweitmächtigste Mann im Staat, jedenfalls heimlich. Chef des Kanzleramtes, Gerhard Schröders rechte Hand, und einer, von dem der Kanzler sagte, er könne ihm jederzeit nachfolgen. Aber kaum jemand kannte ihn, und Steinmeier genoss das. Schröder wollte ihn zum Minister befördern, aber wozu? Da habe er doch nur öffentliche Verpflichtungen, die Arbeit aber bleibe die gleiche und die Familie komme zu kurz. Er lehnte ab und blieb Staatssekretär.

Der Verlust an Privatheit war schon groß, seit er als Außenminister der großen Koalition plötzlich auf der Weltbühne herumturnen musste. Das Amt hat ihn im Bekanntheitsgrad weit nach oben katapultiert. Die Leute mögen den 52-Jährigen mit dem schlohweißen Haar, den Grübchen beim Lachen und der tiefen, bedächtigen Stimme.

Er ist niemand, der an Zäunen rüttelt



Steinmeier ging uneitel mit dieser Popularität um. Gern erzählt er, dass er sonntags Brötchen holt, ohne Sicherheitsleute. Dass er im Sommer abends mal mit Freunden in einem Restaurant sitzen kann, und nicht belästigt wird. Und wie jedes Jahr in Südtirol Urlaub macht. Zuletzt aber klangen diese Hinweise auf Normalität immer bemühter. Immer häufiger waren Kameras da, wenn er irgendwo auftauchte. Und den Urlaub musste er in diesem Jahr auch unterbrechen - wegen der Georgien-Krise.

Steinmeier hat noch nie Wahlkämpfe bestritten. Er begann seine Karriere als Angestellter der Politik, als Referent und Büroleiter in Schröders niedersächsischer Staatskanzlei. Ein fähiger Einser-Jurist, der Sacherverhalte gründlich bearbeiten und komplizierte Verhandlungen führen kann. Er hat nie für irgendetwas kandidiert, sondern wurde immer berufen. Er hat sich auch nie gedrängt. Obwohl Steinmeier in seinen Jobs jenes Syndrom entwickelt haben muss, dass alle stillen Helfer und Strippenzieher haben: Sie denken irgendwann "das könnte ich auch", wenn ihr Chef Fehler macht oder den Ratschlägen nicht folgt. Unter Kurt Beck muss Steinmeier das zuletzt immer öfter gedacht haben.

Steinmeier wurde im Schatten Schröders groß. Er litt im Kanzleramt oft unter der Sprunghaftigkeit Schröders, ließ sich aber nie etwas anmerken. Bienenfleißig, verschwiegen, gründlich und loyal bis ins Mark war er. "Mach mal, Frank!", war Schröders Spruch, wenn es schwierig wurde. Und Frank-Walter Steinmeier machte. So entwarf er die Grundzüge des Reformprogramms Agenda 2010, verhandelte den Atomausstieg und schlug das Vorziehen der Steuerreform vor. Für Insider war er schon damals der eigentliche Kanzler. Nur eben nicht bühnentauglich.

Äußerst vorsichtig, letztlich aber systematisch, hat er dieses Defizit in den vergangenen Jahren aufgearbeitet. Er wurde stellvertretender Parteivorsitzender und sicherte sich die Kandidatur für einen Bundestagswahlkreis in Brandenburg. Das alles galt zunächst mehr der eigenen politischen Absicherung, die er braucht, seit Schröder nicht mehr da ist. Ziel war noch nicht die Kanzlerkandidatur. Steinmeier wollte von sich aus nicht ganz nach vorne, er rüttelt nicht an Zäunen. Innerparteilich enthielt sich im scharfen Flügelkampf seiner Partei jeder klaren Positionsbestimmung. Nie konnte man ihn festnageln. Komplizierte Schachtelsätze und Allgemeinplätze waren sein Markenzeichen. Man kann mit ihm locker plaudern, muss aber hinterher feststellen, dass er eigentlich von sich aus kaum etwas gesagt, sondern nur Fragen gestellt hat. Steinmeier hinterlässt bei vielen Menschen aber das wohlige Gefühl, dass ihnen einer zugehört hat.

Steinmeier sagte erst vor kurzem in Bezug auf die Kanzlerkandidatur, er habe keine Schwierigkeiten einzugestehen, dass es Dinge gebe, die andere besser könnten. Politik brauche eben unterschiedliche Typen, die "Rampensau", den Nachdenklichen, den eher Bauchgesteuerten "und hoffentlich auch den, der mit Augenmaß eine gerade Furche zieht". Als letzteren sah er da noch sich selbst. Nun, als Kanzlerkandidat, muss er auch die anderen Fähigkeiten im Schnelldurchgang entwickeln. Aus dem Strippenzieher ist die "Rampensau" geworden.

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