"Zu schnell Hurra gerufen"

MAINZ. Das Erdbeben in der SPD-Führung wird nach Überzeugung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Kurt Beck nicht zu einem Linksrutsch der Partei führen. Die bevorstehende Landtagswahl hat den Ministerpräsidenten dazu bewogen, nicht selbst auf den Posten des Parteichefs zu wechseln, sagt Beck im Interview mit dem Trierischen Volksfreund.

Haben die Umwälzungen der letzten Tage an der Parteispitze zu einem Linksruck der SPD geführt?Beck: Das hat überhaupt keine Rechts-Links-Thematik in sich. Die jetzt getroffene Entscheidung orientiert sich an der herausfordernden und auch schönen Aufgabe der Führung einer Partei. Und an der Erwartung, dass Matthias Platzeck auch die perspektivische Diskussion fördert. Wir müssen Zukunftskonzepte entwickeln. Dies ist ein Manko nicht nur bei uns, sondern bei allen Parteien. Wir sind alle programmatisch etwas kurzatmig. Was hat Sie bewogen, auf das Amt des SPD-Parteichefs zu verzichten?Beck: Ausschlaggebend war die klare Abwägung der Interessen. Die anstehende Landtagswahl war letztlich der Grund zu verzichten. Mathias Platzeck hatte mir den ersten Zugriff gegeben. Aber das Vier-Augen-Gespräch dauerte dann nur sehr kurz. Ich bin hoch zufrieden mit der Entwicklung. Wir haben in 38 Stunden einen personellen Neuanfang konzipiert. Was sagt die Landes-SPD dazu?Beck: Ich habe in einzelnen Botschaften große Zustimmung erhalten. Die Landes-Partei ist wohl eher zufrieden und erleichtert. Was bedeutet konkret, dass Sie nun eine herausragende Rolle in der Führung der Bundespartei spielen sollen?Beck: Der neue Parteivorsitzende hat das so formuliert. Wir werden mit den Gremien darüber reden, wie wir das organisatorisch machen. Ich möchte dem aber nicht vorgreifen. Welche Rolle kann Andrea Nahles noch in der SPD spielen?Beck: Ich gehe davon aus, dass sie an einer wichtigen Stelle in der Parteiführung weiter Aufgaben übernimmt. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihrem Kollegen Platzeck?Beck: Das ist seit langem sehr gut und von einem besonderen Vertrauensverhältnis geprägt. Das hat mir die Abwägung, ob ich selbst die Aufgabe eines Parteivorsitzenden übernehmen soll, sehr viel leichter gemacht. Von der Art, politisch zu denken und etwas pragmatisch anzupacken, sind wir sehr ähnlich. Wird es künftig ein zweifaches Machtzentrum in der SPD mit einem Vizekanzler Müntefering und einem Parteichef Platzeck geben?Beck: Es wird drei wichtige politische Scharniere geben. Was die Regierungsarbeit angeht, ist das der Vizekanzler, der mit dem Koalitionspartner zu arbeiten hat. Was die Bundestagsfraktion angeht, deren Vorsitzender. Das dritte wird die Partei sein. Deren Vorsitzender hat noch eine andere Aufgabe, als die Regierungsarbeit mit zu planen und mit zu tragen. Er muss mit der Partei auch über den Tag hinaus konzeptionell arbeiten. Wie hoch sind nach den Turbulenzen noch die Chancen für eine große Koalition?Beck: Ich glaube, sie sind nicht schlechter geworden. Da haben eine paar Leute zu schnell Hurra gerufen, als es diese Schwierigkeiten gab. Aber wir haben die Probleme so schnell überwunden, dass es keine Begründung für eine schlechte Entwicklung der Verhandlungen gibt. Und Stoiber?Beck: Der Weggang Stoibers ist sicher ein bisschen problematischer, weil da wieder eine gewisse Orientierung notwendig ist, was die CSU-Positionen angeht. Aber auch das wird sich in den nächsten Tagen wieder klären. Wenn es um die Sache geht, bin ich sehr zufrieden mit dem, was sich entwickelt, auch wenn noch ein paar schwierige Fragen wie in der Haushaltspolitik zu klären sind. Es gibt aber auch große Fortschritte, beispielsweise in der Familienpolitik oder bei der Föderalismusreform. Es ist mehr vorwärts bewegt worden als gemeinhin bekannt. Man kann nicht nur die Personalia betrachten. Sie rechnen nicht mit weiteren stürmischen Zeiten in der SPD, die auf eine große Koalition durchschlagen?Beck: Nein. Ich habe den Eindruck, dass in der Partei das Erschrecken über das, was da passiert ist, so groß ist, dass die nächsten Entscheidungen mit großem Realitätssinn getroffen werden. * Das Gespräch führte unser Redakteur Joachim Winkler.

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