Festtag ohne bittere Gedanken

KASEL. Dass die Becks aus Kasel heute ihre Goldene Hochzeit feiern, kommt einem Wunder gleich. Denn Hermann-Wilhelm Beck wurde vor 32 Jahren in Trier-Zewen von einer Kugel in den Kopf getroffen. Seitdem kämpfen er und seine Frau mit den Folgen des Verbrechens, dessen Täter nie ermittelt wurde.

Irma Beck hat sich gerade die Fingernägel lackiert, passend zu ihrem gelben Frühlingskleid. Ihr Sohn schaut im Fernsehen eine Folge der Serie "Unsere heile Welt". Auf der Straße vor dem Haus seiner Eltern in Trier-Zewen wartet Hermann-Wilhelm Beck auf seine Frau, beide wollen los zur Arbeit. Es ist der Abend des 15. Mai 1972; in zwei Tagen wollen die Becks ihren 17. Hochzeitstag feiern. Doch dann passiert etwas, dass das Leben der kleinen Familie für immer ändert. Eine Kugel trifft Hermann-Wilhelm in die Wange, zerfetzt die Schlagader der rechten Gehirnhälfte und tritt am Hinterkopf wieder heraus. "Ich dachte erst, mein Mann sei gestolpert und gestürzt", erinnert sich Irma, "aber der Knall, der kam mir gleich komisch vor." Heftig gesprudelt sei das Blut aus der Wunde unter dem rechten Auge ihres Ehemannes, die Blutspur sei drei Meter breit gewesen. Bis der Krankenwagen gekommen sei, habe es eine Ewigkeit gedauert.Kein Täter, keine Opferhilfe

Riskante Operationen und monatelange Krankehausaufenthalte retten Hermann-Wilhelm das Leben. Doch die bleibenden Schäden sind schlimm: Der Oberzugführer leidet unter chronischen Kopfschmerzen, fällt ständig in Ohnmacht, bricht sich dabei mehrfach Arme und Beine. Eine Schlucklähmung lässt ihn auf 35 Kilo abmagern. An ein normales Leben ist nicht mehr zu denken. Doch die quirlige Irma und der ruhige Hermann-Wilhelm kämpfen und schaffen es, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen - obwohl die Kripo ihrer Meinung nach nicht genug unternommen hat, um den bis heute unbekannten Täter zu finden und obwohl sie nie eine finanzielle Unterstützung aus dem staatlichen Fonds für Verbrechensopfer erhalten. "Die haben gesagt, wir könnten ja nicht beweisen, dass es ein Verbrechen und kein Unfall war", erklärt Irma das Urteil nach jahrelangem Rechtsstreit. Dabei stünden in den Ermittlungsakten etliche Ungereimtheiten, spekuliert Irma über angeblich widersprüchliche Aussagen der Nachbarn von damals. Das Motiv könne Neid gewesen sein. "Uns ging‘s gut, wir hatten zwei Autos in einer Zeit, in der andere nur ein Fahrrad hatten", sagt die 68-Jährige. Auch ihr Mann ist verbittert: "Mein Hass auf den Täter wird nie vergehen", sagt der 74-Jährige. Doch zwei Tage vor ihrem Festtag am heutigen Samstag wollen sie die quälenden Gedanken aus ihren Köpfen verbannen. "Ich freue mich, auch wenn es ein bisschen viel Trubel ist", sagt Hermann-Wilhelm und beobachtet von seinem Lieblings-Sessel im Wohnzimmer aus, wie seine Frau mit zwei Freundinnen Tische hin und her schiebt, schließlich sollen 40 Gäste Platz haben. Die Freiwillige Feuerwehr baut derweil im Garten Zelt und Bänke auf. "Wir haben so wundervolle Hilfe vom Dorf", sagt Irma, "die Nachbarinnen backen mir von der Prinzregent- bis zur mehrstöckigen Hochzeitstorte alles." Auch Hermann-Wilhelm ist aufgeregt: "Ein paar meiner früheren Kollegen kommen", sagt er, obwohl er diese Hochzeits-Überraschung eigentlich noch gar nicht wissen soll.

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