Fieberträume vom Bürgerkrieg

KONZ. Der aus Konz stammende Arzt Hartmut Nikolay hat einen Roman geschrieben, der seine Erfahrungen als humanitärer Helfer in den Bürgerkriegswirren im ehemaligen Jugoslawien widerspiegeln. "Sarajevo - auch die Schatten sind tot" ist eine eigenwillige Mischung aus Polit-Thriller und Krankengeschichte.

150 Seiten ist der Roman lang, und man spürt in jeder Zeile, dass sich jemand ein Thema förmlich vom Leib schreibt, das ihn lange beschäftigt hat. "Eine nicht nur erfundene Geschichte", schreibt der Verlag. Biographisches und Fiktives mischt sich in der Geschichte des Arztes Rolf, der auf der Flucht vor familiären Problemen den humanitären Hilfsauftrag einer Ärzte-Organisation annimmt und ins bürgerkriegsgeschüttelte Sarajevo umsiedelt. Nikolay (53), der bis Mitte der 70er-Jahre in seiner Geburtsstadt Konz lebte, hat Ähnliches mitgemacht. Auch die Lebensgeschichte, die er seiner Hauptfigur zuschreibt, hat Parallelen zu seiner eigenen. Frühe Geheimdienstkontakte, Tätigkeit für die GSG 9, später der Einstieg in den Arztberuf. Heute arbeitet Nikolay als Anästhesist in der Schweiz.Rückblenden und Wachträume

Diese Tätigkeit liefert das zweite wichtige Element des Buches. Denn als der Leser den "Helden" der Geschichte kennen lernt, liegt der nach einem mysteriösen Fahrrad-Unfall im Wachkoma. "Sarajevo - auch die Schatten sind tot" ist in einer - gelegentlich unübersichtlichen - Mischung aus Rückblenden, Wachträumen und Nebenhandlungen erzählt. Das macht die Lektüre nicht einfach, liefert aber eine äußerst detaillierte Schilderung der Erlebniswelt eines Koma-Patienten. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Roman nicht in einem Belletristik-Verlag erschienen ist, sondern in einem kleinen Fachverlag, der sich auf populärmedizinische Themen spezialisiert hat. Zu den vielen angerissenen Handlungsebenen gehört auch eine Art gigantischer Verschwörungstheorie. Der Arzt Rolf wird zum unfreiwilligen Instrument von Geheimdienst-Manipulationen, die den Boden für eine Kriegs-Intervention in Jugoslawien bereiten sollen. Was Nikolay andeutet, ist die zentrale Rolle deutscher Geheimdienste beim Schüren des Konflikts zwischen Serben, Kroaten, Bosniern und Kosovo-Albanern, mit dem - letztlich ja auch erreichten - Ziel, die westliche Allianz zum Eingreifen zu zwingen und damit die Teilung Jugoslawiens endgültig zu zementieren. Zu diesem Zweck sind im Roman alle Mittel recht, bis hin zum eiskalten Mord. Geschickt spielt die Verlagswerbung mit dem möglichen Wahrheitsgehalt der Geschichte: "Ein authentischer Polit-Thriller, zu unglaublich, um nicht wahr zu sein", lautet der Verkaufs-Slogan. Der Autor hätte die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte freilich leichter untermauern können, wäre er nicht immer mal wieder ins politische oder historische Dozieren verfallen. Dennoch übt das Spiel mit Dichtung und Wahrheit einen gewissen Reiz aus. Dem literarischen Neuling Nikolay hätte allerdings ein vernünftiges Lektorat gut getan. Vieles klingt sprachlich unfertig und unbeholfen, manches bleibt dramaturgisch konfus. Bei einer Autobiografie könnte man das als zulässige Authentizität einstufen, bei einem Roman wirkt es oft wie gewollt und nicht gekonnt. Aber wer bereit ist, sich auf die am Krankheitsbild des Komas orientierte Erzählweise einzulassen, für den lohnt sich die Lektüre - ebenso wie für alle, die Geheimdiensten, auch deutschen, alle Übeltaten dieser Welt zutrauen. Optimistisch stimmt die Lektüre nicht. "Sarajevo - auch die Schatten sind tot", erschienen im Ingrid Zimmermann Verlag, 12 Euro. Ab morgen bringen wir in der Serie "Trier-Saarburg - ganz nah" über 14 Tage Berichte aus der Verbandsgemeinde Konz.

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