Mit dem ersten Roller über die Alpen

BOLLENDORF. Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region Trier von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksfreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Leo Crames.

Zu einem Vergleich zwischen damals und heute bietet sich hervorragend das soeben zu Ende gegangene "Event", die WM 2006 in Deutschland, und die Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz an. Dazu, dass unsere damalige Mannschaft mit sehr viel weniger Aufwand mehr erreichte, gehörte bestimmt auch eine gehörige Portion Glück. Auf jeden Fall hatten wir, die damaligen Anhänger - und das waren fast alle Deutschen - es ungleich schwerer, das Geschehen so wie heutzutage zu verfolgen. Gut, bisweilen gab es bereits Schwarzweiß-Fernseher, meistens in Kneipen aufgestellt, aber nach heutigen Ansprüchen in äußerst mäßiger Wiedergabequalität. Die meisten Fußballbegeisterten allerdings mussten mit einem Rundfunkempfänger vorlieb nehmen und fieberten zusammen mit dem damaligen Spitzenkommentator Herbert Zimmermann bei dessen berühmter Endspielreportage im Berner Wankdorfstadion mit um den Sieg. In meinem Heimatort Bollendorf wurde das Fernsehen überhaupt erst später möglich, da es noch keine Umsetzung für die im Sendeschatten befindlichen Empfangsgeräte gab, und das Satellitenfernsehen noch nicht erfunden war. Vielleicht sollte man den Beginn des Wiederaufstiegs der Bundesrepublik ab der Währungsreform 1948 messen, denn kaum war die noch prägefrische D-Mark per "Kopfgeld" verteilt, gab es bereits die ersten Warenangebote, die die neue, bessere Zeit signalisierten. Wir Kinder drückten uns die Nasen platt, um all die schönen Dinge zu bewundern, die sich oft hinter schaufensterartigen Verschlägen aus Pappe und Glas verbargen. Im darauf folgendem Jahr sollte mein großer Wunsch, ein Fahrrad, in Erfüllung gehen: Ein Produkt der Marke NSU Halbballon aus deutscher Nachkriegsproduktion für 86 Mark. Mit diesem Fahrrad habe ich dann sogar einige Jahre später mit einem Freund eine vierwöchige Tour durch Süddeutschland, die Schweiz und Österreich gemacht, ausgerüstet mit Zelt und Kochgeschirr. In der Brieftasche hatte jeder von uns gerade einmal 100 Mark. Mit der Zeit und dem wachsenden Wohlstand erhöhten sich natürlich nun auch die Ansprüche an das Leben. Mittlerweile waren wir um die 20, und alle Freunde standen ebenfalls in Brot und Arbeit - das Wort "arbeitslos" war ziemlich unbekannt. Die Freizeit wurde dem geliebten Sportverein gewidmet. Der Reiz des anbrechenden motorisierten Zeitalters machte irgendwann auch vor mir und meinen Sportskollegen nicht Halt, und so wurde jeweils für einen Heinkel-Roller gespart. Im Sommer 1956 ging dann mein bis dahin größter Wunsch in Erfüllung. Das Gefährt kostete zwar schon stolze 2000 Mark, der Führerschein für die Klassen 1 und 3 hingegen war vergleichsweise billig und im günstigsten Fall schon für 285 Mark zu haben. Außerdem: Der Umstieg vom Fahrrad auf einen eigenen motorisierten fahrbaren Untersatz lag plötzlich bundesweit voll im Trend und zog ab Mitte der 50er-Jahre eine gewaltige individuelle Tourismuswelle hinter sich her - und ich war mit meinen Kollegen ebenfalls dabei. Wie bereits fünf Jahren zuvor, ging es zur Urlaubszeit wieder nach Süden, allerdings diesmal über die Autobahn (soweit schon vorhanden) und mit meinem Heinkel 175, Viertakter, dem "Rolls-Royce" aller Motorroller, zu den Zeltplätzen in der Schweiz und in Österreich. Als eine Art "Mittelklasse" für Zeitgenossen, die die Zweiradfahrzeuge nicht mochten, aber denen ein richtiges Auto noch zu teuer war, waren BMW-Isetta, Zündapp-Janus, Goggomobil, Messerschmidt-Kabinenroller oder gar der "Leukoplastbomber" von Lloyd im Angebot. Leo Crames wurde am 14.Oktober 1934 geboren. Er ist Rentner und arbeitete früher als technischer Angestellter. Er wohnt in Bollendorf.

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