Nach der WM 1954 – wir waren wieder wer

TRIER. (red) Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region Trier von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksfreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Wolfgang Zahnhausen aus Mariahof.

Angesichts der erfolgreichen Fußball-WM 2006 im eigenen Land schweifen meine Erinnerungen um mehr als 52 Jahre zurück bis ins Jahr 1954. Am 4. Juli standen sich damals im Endspiel von Bern der krasse Außenseiter Deutschland und die hochfavorisierten Ungarn gegenüber. Damals gab es in Privathaushalten nur wenige Fernsehgeräte. In Gaststätten hatte man damit Glück. Es gab hier und da Schwarzweiß-Fernseher mit recht kleinem Bildformat. Die meisten Fußballfans mussten sich ohnehin mit Rundfunkübertragungen zufrieden geben. Es hatte sich herumgesprochen, dass in der Trierer Simeonstraße im Schaufenster des damaligen Elektrogeschäftes Löwenberg ein kleines Schwarzweißgerät installiert war. Dort sollte das WM-Endspiel über die Mattscheibe flimmern. Als 16-jähriger Gymnasiast hatte ich mich unter Dutzenden von Schaulustigen eingefunden. Ich hatte einen günstigen Platz erobert und konnte mir die Nase am Schaufenster platt drücken. So verharrte ich nahezu zwei Stunden lang erregt und schweißgebadet im dichten Gedränge vor der Flimmerkiste. Ich konnte mich dabei weder vor- noch rückwärts bewegen und durchlitt alle Höhen und Tiefen dieses Jahrhundertspiels. Nach den beiden frühen Toren der Ungarn durch Puskas und Czibor nach erst neun Minuten war ich völlig konsterniert. Ich sah das Spiel nur noch wie durch einen Nebelschleier. Spieler, Zuschauer, Fahnen, all das tanzte mir vor den Augen. Doch plötzlich änderte sich die Gefühlslage: Als Max Morlock mit einer langen Grätsche den Ball ins ungarische Tor lenkte, kam Hoffnung auf. Kurz darauf der Ausgleich durch Helmut Rahn. Alles schlug um in Begeisterung. Die Deutschen hatten sich nach 18 bangen Minuten gefunden. Der weitere Verlauf der ersten Halbzeit sowie die weiteren 45 Minuten waren ein einziges Hin und Her - ein Tanz auf des Messers Schneide. Wir wurden immer frecher und selbstbewusster. Toni Turek im Tor hielt die unmöglichsten Bälle aus allen Lagen. Er war ein "Teufelskerl" und "Fußballgott". Dann kam die 84. Minute. Auch nach 52 Jahren klingt mir die Stimme des Reporters immer noch in den Ohren: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt... Tor, Tor, Tor, Tor!" Dann der erlösende Schlusspfiff. Und wieder diese sich schier überschlagende Stimme: "Aus, aus, aus, aus! Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit 3:2 Toren!" Tage später schrieb unsere Klasse einen Aufsatz, in dem ich, was die Anhäufung der "o"-Laute in dem Wort "Tor" betrifft, kurzerhand die deutsche Rechtschreibung "revolutionierte". Während ich die beiden Tore der Magyaren nur mit jeweils drei "o" wiedergab, wurden die Torschreie bei den drei deutschen Treffern immer länger. Das Tor zum 3:2 schrieb ich dann mit zwölf "o" und drei Ausrufezeichen. "Toooooooooooor!!!" Der Lehrer ließ es durchgehen.

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