Populär und doch unbekannt

ZEMMER-RODT. Nahrung für Herz und Geist bot ein stimmungsvoller Abend, wozu die Gemeindebücherei Zemmer im Rahmen der Bibliothekstage Rheinland Pfalz geladen hatte. Der ehemalige Pfarrer und Dekan Hermann Alves interpretierte Wilhelm Busch und erweckte ihn damit zu neuem Leben.

Auf der Empore des urigen, nur von Kerzen beleuchteten Cafés Grossgarten in Rodt wurde es eng. Viele Neugierige waren gekommen, um neue Facetten eines populären und doch unbekannten Genies kennen zu lernen, des Meisters der Beobachtung und treffsicheren spitzen Feder, Wilhelm Busch (1832 bis 1908). Nahegebracht wurden sie ihnen von dem aus dem Weserbergland stammenden profunden Busch-Kenner Hermann Alves, dessen Überzeugungskraft und unnachahmlicher Vortragsstil auf einer persönlichen Verwobenheit mit dem Werk Buschs fußt. Bei seiner Konfirmation hatte Alves viele religiöse Verse auswendig lernen müssen, die er zur Freude seines Pfarrers ausdrucksvoll wiedergeben konnte. Der Pfarrer war der Neffe Wilhelm Buschs und empfahl seinem Schützling, sich mit dem Werk des Onkels zu befassen und schenkte ihm "Die Kritik des Herzens". Damit legte er den Keim zu einer lebenslangen fruchtbaren Verbindung, woraus Hermann Alves auch in seiner Laufbahn als evangelischer Pfarrer und Dekan schöpfte. "Ich gehe keinen Sonntag auf die Kanzel ohne einen Aphorismus von Busch", sagte der Ruheständler, der jetzt als Kurpfarrer Kirchen füllt, wenn er nicht gerade Rezitationsabende hält. "Busch hat für jede Lebenslage etwas parat." Und was er parat hatte, brannte Alves vor seinen Gästen als rhetorisches und höchst vergnügliches Feuerwerk ab. Dabei schlüpfte er abwechselnd in die Rolle des scharfsinnigen Beobachters, des Karikierten und des Kommentators. Den Zuhörern erschloss sich Busch dadurch als eine Persönlichkeit, die Humor über bloße Komik hinaus entwickelte. Ähnlich wie bei Heine platzten die Pointen immer zum Schluss und brächten mit der Distanz eines umgedrehten Fernglases Dinge auf den Punkt, erläuterte Alves.Die unbekannte Seite des Humoristen

Busch sei aber mehr als Humorist gewesen. Seit seiner Jugend habe er sich mit der Philosophie Kants und Schopenhauers befasst "Verlockend ist der äußre Schein, der Weise dringet tiefer ein." Doch die Philosophie gab ihm keine endgültigen Antworten: "Ihr Schlüssel scheint mir wohl zu mancherlei Türen zu passen in dem verwunschenen Schloss dieser Welt, nur nicht zur Ausgangstür." Nach einer durch Krankheit ausgelösten Lebenskrise wandte sich Busch dem Studium der Theologie zu und kam in seinem Spätwerk zur Erkenntnis: "Nur, was wir glauben, wissen wir gewiss." Die Zuhörer in Rodt staunten über diese weitgehend unbekannte Seite des Multitalents und waren noch überraschter zu hören, dass Busch ursprünglich eine Karriere als Maler angestrebt hatte. Seine berühmten Bildergeschichten waren eher ein Randprodukt, das dem Gelderwerb diente. "Im Grunde war er damit Wegbereiter des Comics", sagt Hermann Alves. Die Begeisterung, mit der Alves Busch interpretierte, steckte so an, dass etliche Gäste beschlossen, dessen Werke unbedingt zu lesen. "Machen Sie das", ermunterte Alves. "Sie werden hinterher klüger und lebenstüchtiger, oder besser: weiser sein."

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