Von Melkkühen und Sozialfällen

SCHWEICH. (hil) Kein Tag vergeht, an dem nicht öffentlich über die Sozialreformen der Bundesregierung diskutiert wird. Jetzt haben sich auch die Senioren der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit der Gesundheitsreform auseinander gesetzt. Vielen Älteren machen die Änderungen Angst, und die meisten machen sie wütend.

"Die Rentner sind zur Melkkuh der Nation geworden", wettert Peter Kremer, Vorsitzender des Bezirksseniorenausschusses von ver.di, und er scheint an diesem Nachmittag den meisten der Senioren im Schweicher Leinenhof aus der Seele zu sprechen. Gerade hatte Hermann Huggenberger, AOK-Bezirksgeschäftsführer, den Gewerkschaftlern die Änderungen im Gesundheitswesen erklärt, die am 1. Januar in Kraft treten werden. Zum Beispiel, dass pro Quartal beim Besuch des Hausarztes zehn Euro fällig werden, gleiches gilt für den Zahnarzt. Fachärzte dürfen nur noch mit Überweisung des Hausarztes konsultiert werden, andernfalls werden auch hier zehn Euro fällig. Bei Arznei- und Heilmitteln, wie Massagen oder Krankengymnastik, wird ab Januar 2004 eine Eigenleistung von zehn Prozent gefordert. Im Krankenhaus muss der Patient pro Tag ganze zehn Euro selber tragen. Diese Zahlen machen vielen Rentnern Angst. Denn das Alter bringt es häufig mit sich, dass der Gesundheitszustand schlechter wird, die Krankheiten zunehmen und damit die Zahl der Arztbesuche und die benötigter Medikamente steigt. "Wie sollen wir Rentner das schaffen?", fragt Peter Kremer. "Unter Reform habe ich bisher immer Verbesserung verstanden . . ." Mit In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform würden jedoch viele Rentner zu Sozialfällen, schimpft er. "Um die Gesundheitskassen zu retten, ist es der falsche Weg, die Rentner so zu beschneiden. Da geht doch jede Menge Kaufkraft verloren." Ein anderer im Plenum findet drastischere Wort für das, was in Berlin geschieht: "Die Leute werden doch immer nur beschissen, bei der Rente, bei der Gesundheit, überall", motzt er. Alles andere als zufrieden mit den Sozialreformen ist auch Hermann Münzel, pensionierter Pfarrer aus Trier. "Dass die Kirchen die Gleichsetzung von Arbeitslosen und Sozialhilfe stillschweigend hinnehmen, halte ich für einen Skandal aller erster Güte", schimpft der Geistliche. Auf die Frage aus dem Plenum, was man denn tun könne gegen soziale Ungerechtigkeit wie die geplanten Reformen, rät Münzel: "Machen sie den Mund auf. Beschweren sie sich. Das was wir tun können, hat die Größe eines Streichholzes, aber wir müssen es dennoch tun." Um den Rat schnell in die Tat um zu setzten, beschlossen die Gewerkschaftler, im Namen des Bezirksseniorenausschusses einen Brief an Bischof Reinhard Marx zu schreiben und mehr Einsatz der Kirche für soziale Gerechtigkeit zu fordern.

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