Als der Krieg nach Trier kam

TRIER. Der Tag, der alles veränderte: Am 14. August 1944 wurde Trier erstmals im Zweiten Weltkrieg Ziel eines großen Luftangriffs. Das Bombardement durch US-Flugzeuge war das Resultat einer Verkettung unglücklicher Umstände. Das zufällige Inferno forderte mindestens vier Menschenleben, machte 1200 Trierer obdachlos und vernichtete Kulturgüter von unschätzbarem Wert.

Montag, 14. August 1944: Strahlend blauer Himmel über dem Moseltal. In Trier geht des Leben seinen gewohnten Gang. Vom Krieg, der nun bereits fast fünf Jahre dauert, hat Deutschlands älteste Stadt relativ wenig gespürt. Der Kelch der massiven Bombardements, mit denen Engländer und Amerikaner Nazi-Deutschland in die Knie zwingen wollen, ist bislang an Trier vorbeigegangen - abgesehen von Angriffen taktischer Verbände auf Brücken und Bahnanlagen. Als um die Mittagszeit wieder einmal die Alarmsirenen ertönen, macht sich kaum jemand ernsthafte Sorgen. Tagtäglich überqueren alliierte Bomberverbände in großer Höhe das Trierer Land. Sie steuern Ziele tief im Reich an. Aber Trier? Der in Friedenszeiten beklagte Mangel an Industrie gilt mittlerweile als unschätzbarer Vorteil des Provinznestes mit rund 85 000 Einwohnern."Fliegende Festungen" auf Verlegenheits-Kurs

Es ist kurz vor 13 Uhr, als das trügerische Sicherheitsgefühl in blankes Entsetzen umschlägt. Das bedrohlich anschwellende Motorendröhnen entlädt sich in einem infernalischen Heulen, Krachen und Bersten. Als die Menschen aus den Luftschutzkellern und Bunkern herauskommen, bietet sich ihnen ein Anblick, den sie ihr Lebtag nicht wieder vergessen werden. "Von der Weberbach aus sah ich ein einziges Flammenmeer. Vom Dom über Bischofshof, Liebfrauen, Basilika, Mustor, Gartenfeld - alles brannte", erinnerte sich Hans Zender 1994 anlässlich des 50. Jahrestages des Angriffs. Zender und sein Kumpel Ewald Marx trieb es an diesem 14. August 1944 die Tränen in die Augen. Die beiden damals 16-Jährigen waren vormittags im Wehrbezirkskommando (WBK) in der Meerkatz gemustert und für "kriegsverwendungsfähig" befunden worden. Dass der Bombenangriff auch das WBK zerstört und die Musterungs-Unterlagen vernichtet hatte, tröstete die beiden Jugendlichen nicht: "Wenn man als gläubiger Christ und Messdiener mit ansehen muss, wie Gotteshäuser einfach in sich zusammenkrachen… Wir waren übermannt von Trauer und Wut." Was geschehen war, schildert Augenzeuge Hans Kinzig: "Ich war zu Besuch bei meinem Onkel Nikolaus Kinzig in Pallien und beobachtete den Angriff vom Felsen oberhalb der Napoleonsbrücke. Gegen 13 Uhr näherten sich plötzlich zehn Flugzeuge aus westlicher Richtung und flogen, etwa auf einer Linie Feyen, Heiligkreuz und Dombereich, und verließen das Moseltal in Richtung Biewer. Da die Flugzeuge sehr niedrig flogen, konnte ich deutlich erkennen, wie Container mit Stabbrand-Bomben aus den geöffneten Bombenschächten fielen. Auch das Prasseln beim Aufschlag der Bomben auf die Hausdächer war zu hören. Kurz darauf konnte ich die Rauchwolken der ersten Brände sehen." Während sich in der Altstadt ein Flammenmeer ausbreitet, machen sich die Besatzungen der Bomber im wahrsten Sinne erleichtert auf den Heimweg. Für sie geht ein Einsatz zu Ende, bei dem von Beginn an nichts nach Plan funktionierte. Heimathistoriker Hans Jürgen Hauprich (48) hat in alliierten Militärarchiven recherchiert und den Ablauf aus Angreifer-Sicht rekonstruiert. Am Morgen des 14. August 1944 starten 1115 viermotorige Bomber der 8. US Air Force plus 524 Jagdmaschinen als Begleitschutz. Ziele: Industrie- und Militäranlagen in Frankreich und südlich des Mains. Aber gleich zu Beginn der Operation gibt es Probleme. Mehrere Verbände können die zugewiesenen Plätze im Bomberstrom nicht einnehmen, andere schieben sich dazwischen. Deshalb werden Ausweichkurse notwendig. Über Stuttgart-Zuffenhausen, dem Primärziel für Maschinen der 1. Bomb Division, liegt eine dichte Wolkendecke, also geht es weiter zum "Ersatzziel", einem Fliegerhorst bei Neustadt/Weinstraße. Dort herrschen die gleichen Sichtverhältnisse. Nun gerät der Verschiebebahnhof Kaiserslautern-Einsiedlerhof als letztmögliches reguläres Ziel ins Visier. Doch dort kommen sich einige Verbände in die Quere. Um Zusammenstöße zu verhindern, werden eingeläutete Angriffe abgebrochen. Zehn Boeing B 17 ("Fliegende Festungen") der dritten Squadron der 92. Bomb Group verlieren den Anschluss, nehmen Kurs Richtung Trier. Die Stadt steht zwar nicht auf dem Zielplan, aber dort herrschen gute Sichtverhältnisse und damit die Chance, sich endlich der Bomben zu entledigen. Denn die brisante Last kann auch den Angreifern zum Verhängnis werden: Sie erhöht den Spritverbrauch und macht die Bomber langsamer. "Der Squadron-Führer traf eine spontane Entscheidung", ist Heimathistoriker Hauprich sicher. Jetzt ist der Hauptbahnhof das Ziel. Zu einem geordneten Anflug bleibt wenig Zeit. Das Inferno nimmt seinen Lauf. Die Bahnanlagen verfehlen die Amerikaner um hunderte Meter. Die Abwurfbehälter (Inhalt: 11 000 Stabbrandbomben im Gesamtgewicht von 25 Tonnen) treffen die Altstadt mitten ins Herz. Die Thermit-gefüllten Bomben entfachen eine Hitzeentwicklung von über 1000 Grad Celsius. In der Domstadt wütet eine Feuersbrunst. Der Greiffenklau-Turm des Doms, der höchste Kirchturm der Region, steht weithin sichtbar in Flammen. Liebfrauenkirche, Palais-Kesselstatt, Kurfürstliches Palais, Konstantin-Basilika brennen. Einzigartige Bau- und Kulturdenkmäler gehen unter. "Kein Vorsatz, sondern bedauerlicher Zufall", ist Hans Jürgen Hauprich überzeugt. "Es gehörte nicht zum Einsatzprinzip der 8. US Air Force, zivile Ziele zu bombardieren, um so die Bevölkerung zu terrorisieren." Mindestens vier Menschen sterben. Heimathistoriker Adolf Welter (69), der intensive Forschungen betrieben und Zeitzeugen befragt hat, listet in seinem 1996 erschienenen und ausverkauften Buch "Die Luftangriffe auf Trier 1939-1945" erstmals die Namen der Opfer auf: Barbara Fellhauer, Johann Hardt, Franz Kiesel und der erst 16-jährige Wilhelm Seemann, der bei Löscharbeiten in der Ostallee lebensgefährliche Verbrennungen erlitten hat. Feuerwehren aus dem weiten Umkreis eilen zur Brandbekämpfung herbei. Zu retten ist nicht viel, aber überall lauern Blindgänger, die es zu entschärfen gilt. "46 Wohngebäude total, 136 schwer beschädigt, eine chemische Fabrik für technische Öle total zerstört", melden die Behörden. 1200 Menschen haben ihr Zuhause verloren.Ein bitterer Vorgeschmack

Es ist erst ein Vorgeschmack auf das Unheil, das noch über Trier hereinbrechen wird. Nach der Einnahme Luxemburgs durch die Amerikaner am 12. September 1944 folgt Artillerie-Beschuss, am 7. Oktober der nächste schwere Angriff durch US-Bomber. Am 25. Oktober rollen die ersten Evakuierungs-Sonderzüge ins "Hauptauffanggebiet Gau Thüringen", wo die meisten Trierer die folgenden Monate verbringen. Hohe Nazi-Funktionäre haben sich mit ihren Familien bereits Monate vorher abgesetzt. In der Vorweihnachtszeit gibt die britische Royal Air Force Trier den Rest. Am 19., 21. und 23. Dezember1944 verwandeln hunderte schwere Lancaster-Bomber die Altstadt in ein riesiges Trümmerfeld. Bernhard Hild, Oberwachtmeister der Reserve-Schutzpolizei, führt im Hochbunker am Augustinerhof Buch über Bombardements und Artillerie-Angriffe. Bilanz bis Februar 1945: "200 Tote, 500 Verletzte und 20 Vermisste. 45 Prozent der Stadt zerstört." Am 2. März 1945 nehmen US-Truppen Trier ein.

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