Auf Konzert-Tour durchs nächtliche Trier

TRIER. Premiere für eine ungewöhnliche Geburtstagsparty: "Trier 2020" wurde mit einem Riesen-Festival an 23 Spielstätten gefeiert. Rund 2500 Besucher waren dabei - weniger als erwartet.

Wie wird man einer Veranstaltung gerecht, die an 23 Orten stattfindet? Der Reporter entscheidet sich für einen Selbstversuch. Bei zehn Minuten Aufenthalt pro Location und vier Minuten Wegstrecke müsste es machbar sein, innerhalb von fünf Stunden alle Spielstätten von "Trier 2020" zu besuchen. Auftakt bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung in den Viehmarktthermen. Allerlei lokale Prominenz lauscht der von TV -Redakteur Alexander Houben moderierten Show, deren Höhepunkt kurz nach Acht die Bekanntgabe des Wahlergebnisses zum "Größten Trierer" markiert. Engagierte Schulklassen stellen Projekte zu den Kandidaten vor, Fischers Maathes (alias Helmut Haag), aus Ärger über seine Nicht-Nominierung dem Grab entsprungen, macht lästerliche Bemerkungen. Karl Marx wird angemessen gefeiert, derweil fünf Fußminuten entfernt im Kurfürstlichen Palais Thomas Kießling neapolitanische Lieder zu Gehör bringt. Auf dem Weg zum Landesmuseum schleichen sich kulturbeflissene Gestalten durch den stockdusteren Palastgarten. Gepflegter Jazz mit dem LA Quartett und ein Art Museumsflohmarkt locken ein kleines, aber feines Publikum an. Vielleicht würde der eine oder andere seine Kinder treffen, fände er den Weg in den stimmungsvollen Cubiculum-Keller in der Hosenstraße. Wer jenseits der 25 ist, muss hier befürchten, mit "Sie" angeredet zu werden. Die junge Band "Projekt 54" spielt einen für die dreiköpfige Besetzung erstaunlich fetten Sound, flotte Bedienungen verschwinden mit Tabletts voller Kölsch-Stangen und kommen nach Sekunden mit leeren Gläsern zurück. So viel Betrieb würde man sich bei Kesselstatt wünschen. Wer sich durch die von Holzfässern und Kerzen romantisch gesäumten Wege des Weinkellers bis zur Bühne hindurchgeschlängelt hat, gehört zu der kleinen Schar, die von dem Trierer Vokalensemble "Contra Punto" mit originell arrangierten Klassikern wie "Sentimental Journey" unterhalten wird. Eine eher experimentelle A-capella-Variante von Leiendeckers "Mariensäul" begleitet den Weg Richtung "Markthalle", wo Florence Absolu mit ihrer Franko-Pop-Band "Fanfan" gegen die schwierige Akustik ankämpft. Die Zeit drängt. Im VHS-Atrium zupft eine virtuose Instrumentalistin die Pipa, eine Art chinesische Laute, und die für mitteleuropäische Ohren ungewohnt-faszinierenden Klänge steigen sanft die gläsernen Innenfassaden hoch. Wer Kontraste sucht, braucht nur die Treppe runter zu gehen, wo im Palais-Keller gerade ein Comedian auf skurrile Weise mittelalterliches Narrenspiel mit zeitgenössischem Hooliganismus verbindet. In der Dominformation gerät der sorgsam ausgeklügelte Zeitplan ins Wanken. Johannes Knopp, ein junges Genie am Vibraphon, verbreitet dort zauberhafte Klänge und besitzt auch noch das Talent, sein Repertoire unterhaltsam zu erklären. Unmöglich, nach zehn Minuten schon wieder zu gehen. Für den argentinischen Tango im Café zur Steipe bleibt deshalb leider nur ein Blick durchs Fenster, dann geht es zum kultigen, saarpfälzischen Kabarett-Duo "BläckAut" ins Cinemaxx. Weiter über den Stockplatz, wo Plakate davon künden, dass die ansässigen Wirte zu einer "Gegenveranstaltung" zu Trier 2020 einladen. In Trier kann man offenbar nicht mal eine Geburtstagsparty veranstalten, ohne dass ein paar Quertreiber ihr eigenes Süppchen kochen. Im "Leonardy" in der Dietrichstraße, wo Liedermacher Jimi Berlin gerade von seinem frustrierenden Sexualleben singt, sind nicht einmal mehr Stehplätze zu haben, auch das "Krokodil", wo Stimmwunder Chitty Somapala seine Band "Acoustica" nachhaltig als Unplugged-Act empfiehlt, ist gut gefüllt.20 Stationen, mehr geht nicht

Über den Nikolaus-Koch-Platz dringt die unverkennbare Stimme von Gummibären-Sänger Christian Kaiser. Wie, ein Open-Air bei diesem Frost? Von wegen, die Gummibären lassen die Wände im Telekom-Keller zittern. Aus dem "Louisiana" plärrt "Live is life", ein guter Grund, augenblicklich ins "Hauptmanns" zu gehen, wo der gesetztere Teil des Party-Publikums das Jazz-Duo "Groove Improve" goutiert. Die Uhr nähert sich Mitternacht, im Astarix spielen die Lokalmatadoren von der "Spielvereinigung Trier-Süd" gepflegten Rock vor spärlicher Kulisse. Die Orient-Show im "Julius" macht im Moment Pause, die Lateinamerika-Feten im "Havanna" und "Barocco" beginnen eigentlich gerade erst. 20 Stationen sind vollbracht, Null Uhr ist durch, mehr geht beim besten Willen nicht. Die Kneipe "Fischers Maathes" und die BBS-Aula haben Pech. Aus den Viehmarktthermen, wo alles begann, dringt eine sensationelle Frauenstimme. Marion Lamarché und die Hemmy-Donié-Band setzen einen markanten Schlusspunkt. Weitere Fotos: SEITE 22

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