Dem Chaos im Kopf vorbeugen

TRIER. Leben mit links - schon in Kindertagen zeigt sich, ob ein Mensch Linkshänder ist. Denn die Händigkeit ist von Geburt an festgelegt. Die Veranlagung der Kinder sollte von den Eltern frühzeitig gefördert werden.

"Versuch' es doch mal mit rechts", ermunterte der Lehrer seine Schülerin. Gehört, befolgt. Und weil das Mädchen von bravem Gemüt war, schrieb es fortan wider seine Natur. Wie Barbara Herchenhan erging es einst vielen jungen Menschen: Weil es "normal" war, mit der rechten Hand zu schreiben, wurden Linkshänder kurzerhand umgeschult. Barbara Herchenhan war längst erwachsen, da ließ sie sich zurückschulen. Fünf Jahre habe das gedauert, berichtet die heute 46-Jährige, ihre Motorik habe sie neu trainieren müssen. "Heute kann ich mich erstmals mit meiner Handschrift identifizieren", nennt sie eine Errungenschaft ihrer Rückkehr zur ursprünglichen Veranlagung.Linksändigkeit ist heute akzeptiert

Marilyn Losó benötigte nur sechs Wochen, da lernte sie bereits, mit der linken Hand zu schreiben. Als die heute Siebenjährige in die erste Klasse der Ausonius-Grundschule kam, verwechselte sie anfangs einige Buchstaben. Ein b oder ein d - Marilyn zögerte und lag oft daneben. Dabei lag bei ihr die Veranlagung gewissermaßen auf der Hand: Marilyns Vater und die beiden älteren Brüder sind allesamt Linkshänder. "Marilyns Lehrer waren sehr aufgeschlossen", berichtet die Mutter, Monika Losó. Passé die Zeiten, da Menschen, deren dominante Hirnhälfte die Rechte ist - die quasi "überkreuz" die linke Körperhälfte steuert - stigmatisiert wurden. Eine Umfrage unter Schulen der Region ergab: Linkshänder dürfen heute nach ihrer Fasson leben. Das bestätigt auch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier: "Heute wird völlig akzeptiert, dass Kinder mit links schreiben", so ein Sprecher auf Anfrage des TV . Doch ob ein Mensch zur Linken tendiert, zeigt sich meist lange bevor er schreiben lernt. "Wenn ein Kind verschiedene Dinge mit der linken Hand macht, sollte man genauer hinschauen", rät Linkshänderberaterin Barbara Herchenhan. Die "dominante Seite" könne schon ab dem siebten Lebensmonat beobachtet werden, wenn das Kind nach seinem Spielzeug greife. Doch Vorsicht: Vor allem Kleinkinder neigen dazu, sehr häufig zwischen den eingesetzten Händen zu wechseln. Deshalb bedarf es einer längeren Beobachtung und gegebenenfalls ein paar Übungen, um die Händigkeit zweifelsfrei festzustellen. "In solchen Fällen ist es sinnvoll, zu beobachten, welche Seite spontaner oder aktiver eingesetzt wird", empfiehlt Barbara Herchenhan. "Auf jeden Fall sollte die Händigkeit vor der Einschulung geklärt sein." Meist jedoch fällt erst in der Grundschule auf, ob ein Mensch Linkshänder ist. Die Grundschulpädagogin Jenny Queins weiß, was dann zu tun ist: "Ich setze die linkshändigen Kinder so, dass sie beim Schreiben nicht ihrem Nachbarn in die Quere kommen können". Die Armfreiheit ist notwendig, damit der linke Ellbogen nicht mit dem rechten Pendant des Platznachbarn kollidiert. Jenny Queins rät zudem den Eltern, mit dem Kauf von Linkshänderscheren oder anderer spezieller Arbeitsmaterialien wie Füller, Lineal oder Spitzer, die Veranlagung ihrer Kinder zu unterstützen. Es gibt gleichwohl auch kleine Linkshänder, die sich - weitgehend unbemerkt von Eltern oder Erziehern - selbst auf die rechte Hand umschulen. Weil Kinder durch Nachahmen lernen, passen sie sich dem rechtshändigen Umfeld an. Das kann mitunter ein Leben lang funktionieren, doch Barbara Herchenhan weiß aus Erfahrung, dass sich "die angeborene Stärke der einen Seite nicht durch Training auf die andere Seite übertragen lässt". Wer also "links" ist, aber "rechts" schreibt und arbeitet, lebt durchaus unter seinen Möglichkeiten. Marilyn schreibt derweil nicht nur mit der linken Hand, sondern spielt auch "mit links" Klavier. Ein einzigartiges Privileg für das Mädchen, dessen Vater, der Pianist Geza Losó, den wahrscheinlich weltweit ersten Linkshänderflügel für seine Tochter bauen ließ.

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