Die Wahlkoffer, ein Staatsanwalt und theoretische Manipulationen

Trier · Heute um 17 Uhr wird\'s amtlich. Dann stellt Oberbürgermeister Klaus Jensen als Wahlvorstand das Endergebnis der OB-Stichwahl vom Sonntag vor. Vorher müssen alle 73 Wahlvorsteher noch einmal im Rathaus auflaufen. Anlass dafür: ein Facebook-Eintrag.

Trier. "Muss die Stichwahl wiederholt werden?" Mit diesen Worten hat Thomas Albrecht, stellvertretender CDU-Fraktionschef im Stadtrat, Oberstaatsanwalt und selbst Wahlvorstand in einem Mariahofer Wahllokal, am Montagnachmittag einen Eintrag im Internet-Netzwerk Facebook begonnen, der nun dafür sorgt, dass man im Rathaus vor der Feststellung des amtlichen Endergebnisses einen deutlich größeren Aufwand betreiben muss als sonst. Albrecht beschwert sich in dem Netzwerk darüber, dass er und weitere Wahlvorstände bereits am Samstag und nicht erst am Sonntag die Wahlbriefe bekommen hätten.
Wahlbriefe enthalten die Briefwahlstimmen. Diese lagen in den Wahlkoffern, die am Samstag an die Wahlvorsteher der 72 Wahllokale verteilt wurden. In den Wahlkoffern sind alle für die Wahl nötigen Unterlagen.
Es sei laut Kommunalwahlordnung Paragraf 49, Absatz 5, nicht zulässig, die Wahlbriefe schon samstags auszuliefern, sie müssten zwischen Sonntagvormittag und Schließung der Wahllokale um 18 Uhr verteilt werden, sagt Albrecht. Zwischen Samstag und Sonntag früh habe die Möglichkeit bestanden, an den Wahlbriefen zu manipulieren, weil die Wahlkoffer unbeobachtet bei den Wahlvorstehern gelegen hätten. "Nun will ich nicht etwa behaupten, dass solche (Manipulationen, die Redaktion) stattgefunden hätten. Aber es bestand die - theoretische - Möglichkeit. Denn das Mehr-Augen-Prinzip ist auf eklatante Art und Weise verletzt worden", schreibt Albrecht. Mit Wasserdampf hätten etwa Briefe geöffnet werden können. "Ein klarer Rechtsverstoß, der also begangen wurde", glaubt der Jurist. Seiner Meinung nach müsse der Oberbürgermeister die ganze Wahl wiederholen.
Das Rathaus wurde auf den Facebook-Eintrag am Montagabend durch eine TV-Anfrage aufmerksam - und ist seitdem alarmiert. Den entsprechenden Passus gebe es in der Tat in der Kommunalwahlordnung, sagtPresseamtschef Hans-Günther Lanfer. Und in der Tat sei der Vorgang auch so abgelaufen, wie von Albrecht beschrieben. Allerdings sei der Sinn des Paragrafen, die Organisation der Wahl zu erleichtern und sicherzustellen, dass bis 18 Uhr am Wahlsonntag auch wirklich alle Wahlbriefe vorlägen. Durch die Vorschrift sei nicht hundertprozentig ausgeschlossen, dass man die Briefe nicht auch vorher verteilen dürfe. Lanfer weist darauf hin, dass eine hohe kriminelle Energie dazu nötig wäre, an den Wahlbriefen zu manipulieren. Im Rathaus gebe es Listen darüber, wie viele Briefwahlstimmen eingegangen seien. Wer manipulieren wolle, müsse Stimmzettel, Wahlscheine und Umschläge fälschen.Bisher keine Hinweise


"Es hat von den Wahlvorständen bisher überhaupt keinen Hinweis auf irgendwelche Manipulationen gegeben", sagte Lanfer gestern dem TV. Um alle Eventualitäten auszuschließen, seien am Dienstag alle Wahlvorsteher der 73 Wahllokale und Stimmbezirke von der Stadtverwaltung gebeten worden, bis Mittwoch eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass es keine Manipulationen am Wahlkoffer gegeben habe. Ein großer Aufwand, der sicherstellen soll, dass sich Oberbürgermeister Klaus Jensen heute bei der Verkündung des Ergebnisses sicher sein kann, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Albrecht schreibt auf Facebook, er wolle die Wahl nicht anfechten und seiner Kenntnis nach auch die CDU nicht. Kein Anfechten, kein Anzeichen für eine tatsächliche Manipulation - aber ein enormer Aufwand einen Tag nach der Wahl. Auf Albrecht ist man im Rathaus nicht gut zu sprechen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Zumal er als Wahlvorstand eigentlich zur Verschwiegenheit über Wahlangelegenheiten verpflichtet gewesen sei.
Der Facebook-Eintrag war in einigen Internet-Browsern am Dienstag nicht mehr zu sehen. Nutzer, die ihn zuvor angeklickt oder geteilt hatten, konnten ihn allerdings weiter kommentieren.Meinung

 Eine Wählerin nimmt am Sonntag an der Stichwahl zum künftigen Trierer OB teil. CDU-Mann Thomas Albrecht hegt jetzt Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Wahl. TV-Foto: Friedemann Vetter

Eine Wählerin nimmt am Sonntag an der Stichwahl zum künftigen Trierer OB teil. CDU-Mann Thomas Albrecht hegt jetzt Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Wahl. TV-Foto: Friedemann Vetter

Unter Generalverdacht
Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht eines jeden Bürgers, darauf hinzuweisen, wenn in der Verwaltung etwas nicht korrekt gelaufen ist. Insoweit hat Thomas Albrecht seine Pflicht getan. Auf die Schulter klopfen muss man ihm dafür aber nicht, denn wie er das getan hat, ist unwürdig. Facebook mag ein gutes Mittel zur Kommunikation und Selbstdarstellung sein, aber es ist für einen der Verschwiegenheit verpflichteten Wahlvorsteher der falsche Weg, auf einen Missstand aufmerksam zu machen. Albrecht hätte den Wahlleiter, OB Klaus Jensen, direkt ansprechen können - nur kurz nach seinem Facebook-Eintrag saß er mit ihm im Stadtrat. Die Stadt hätte den Vorwurf geprüft und das Vorgehen gegebenenfalls bei der nächsten Wahl geändert. Aber nein, der CDU-Mann posaunt lieber in alle Welt hinaus, dass es die "theoretische Möglichkeit" der Wahlmanipulation gegeben habe und fordert den OB auf, die Wahl zu wiederholen. Sie selbst anfechten will er aber auch nicht. Kein Wunder, es gibt ja auch nicht den leisesten Verdacht der Manipulation. Nun müssen 73 Wahlvorsteher eine eidesstattliche Versicherung abgeben, weil sie dank Albrecht unter Generalverdacht stehen - Menschen, die sich für ein "Erfrischungsgeld" von 30 Euro einen ganzen Tag für die Demokratie engagiert haben. Genau so sorgt man dafür, dass sich bald noch weniger Wahlhelfer finden und die Wähler noch angewiderter vom Politikbetrieb sind. m.schmitz@volksfreund.de

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