"Eingepfercht in alte Seelenverkäufer"

Patentrezepte gegen die Missstände beim Schülertransport konnten beim TV-Forum in der ICV-Halle nicht ausgeteilt werden. Doch es gab Denkanstöße aus dem Publikum und zum Teil sehr konkrete Absichtserklärungen der Podiumsteilnehmer. Dazu kam ein Dialogansatz zwischen betroffenen Eltern, Verwaltung und Busbetreibern.

Schweich-Issel. Die närrische Dekoration des ICV Issel im Bühnenhintergrund scheint im Widerspruch zum Ernst des Themas zu stehen. Doch Moderator Dieter Lintz bezieht das Ambiente in sein Begrüßungswort mit ein: "Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren solche Reaktionen bei unseren Lesern hervorgerufen wie der Schülertransport. Ich hoffe aber auf eine faire Diskussion. Und wer sich dennoch ärgert, kann sich vielleicht mit einem Seitenblick auf die Dekoration wieder aufheitern."Die zahlreichen Zuhörer sind jedoch nicht zur Erheiterung gekommen - das machen sie deutlich als die erste "Saalrunde" eröffnet ist. Viele betroffene Eltern sitzen im Saal, aber leider nur eine Schülerin. Bekannte Gesichter aus der Politik sind auch auszumachen, etwa die Landtagsabgeordneten Ingeborg Sahler-Fesel (SPD) und Arnold Schmitt (CDU). Später werden sich auch Busunternehmer und einige Männer der vordersten Front - nämlich Busfahrer - zu Wort melden.Zunächst aber lockt Moderator Jörg Pistorius die Diskutanten-Runde auf dem Podium aus der Deckung. Müssten Eltern Angst um ihre Kinder haben, wird Miriam Lörz, Vorsitzende des Regionalelternbeirats gefragt. Besorgnis sei da, direkt Angst müsse man ihrer Meinung nach noch nicht haben, sagt Lörz und fügt hinzu: "Angst vor den täglichen Busfahrten haben aber viele Kinder. Angst vor der Enge dort, Angst vor den Aggressionen der Älteren.""Im Nachteil gegenüber den anderen Kindern"

Die Folgen langer und beengter Busfahrten nennt Alexander Marcus, Arzt für Kinder- und Jugendpsychologie: "Die Kinder kommen bereits erschöpft und gestresst in der Schule an und haben schon ihr erstes Leistungshoch überschritten, wenn der Unterricht beginnt. Sie sind dadurch im Nachteil gegenüber Mitschülern, die in der Nähe wohnen." Dasselbe gelte für den Heimweg und die dann fehlende Konzentration auf die Hausaufgaben. Landrat Günter Schartz präsentiert dann passend zum Tag einen Fünf-Punkte-Plan zur schrittweisen Verbesserung der Situation. Von nicht wenigen im Saal mit "aha, ein geschickter Schachzug" kommentiert. Erster Applaus für den Mann vom ADAC

Franz-Josef Schmidt, Bereichsleiter Verkehr vom Landesbetrieb Mobilität (LBM), spricht von "Einflussmöglichkeiten auf die Betriebe", die man durch die Konzessionsvergabe habe. Er verweist aber auch auf die rechtlichen Vorgaben, an die der LBM gebunden ist, auch "auch wenn da vieles dabei, was wir gerne geändert hätten". Aber dies sei Aufgabe der Politik. Nach einem recht zurückhaltenden Statement von VRT-Geschäftsführerin Veronika Zänglein erntet Herbert Fuss vom ADAC Mittelrein den ersten kräftigen Beifall. Er bringt Fakten mit Emotion gewürzt ans Publikum. Spricht von Kindern, "die in alten Seelenverkäufern zusammengepfercht" durch die Gegend gefahren würden. Schmidt: "Wenn ein mit stehenden Kindern vollgestopfter Bus bei 90 km/h auf der Autobahn eine Notbremsung machen muss, lassen sich die Gesetze der Physik nicht aushebeln."Vorwiegend sachlich entwickelt sich die Diskussion mit den Zuhörern. Die Wortmeldungen reißen nicht ab. Harte Fakten aus der täglichen Erfahrung mit den eigenen Kindern kommen auf den Tisch, doch Polemik gegen die Politik, Verwaltung und Busunternehmen bleibt aus. Und es offenbart sich die ganze Komplexität des Themas: Da gibt es zu lange Fahrtzeiten und Fahrpläne, die nicht mit den Stundenplänen harmonieren. Warum errechnet sich die zulässige Zahl der Stehplätze nach dem Gesamtgewicht des Busses und nicht nach dem tatsächlich vorhandenen Platz? Wieso handelt der Gesetzgeber nicht? Wäre eine Sitzplatzgarantie für jedes Kind denkbar? Antwort von Landrat Schartz und Geschäftführerin Zänglein: "Dann wären allein für diese Region 100 zusätzlich Busse erforderlich und der ÖPNV würde unbezahlbar." Warum keine erwachsenen Busbegleiter? Welche Rolle spielen die Schulen bei der Aufsicht an den Haltestellen? Gefährden übermüdete Aushilfsfahrer den Schülerverkehr? Überhaupt - die Fahrer: Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Männer hinter dem Lenkrad das schwächste (und ärmste) Glied in der Kette bilden: Zeitdruck, Stress, die Verantwortung. Einige Busunternehmer und Fahrer melden sich zu Wort. Einer schildert drastisch, was er täglich erleben und sich von den jungen Fahrgästen anhören muss. Ihnen bricht fast die Stimme. Danach herrscht betretenes Schweigen im Saal. Letztendlich müssen Landrat Schartz und seine Mitstreiter auf dem Podium einräumen, dass so viele Verbesserungen mögliche wären - doch das liebe Geld! Eine Zuhörerin bringt es auf den Punkt: Der Unternehmer will Geld verdienen, und der Staat will Geld sparen. Wo bleibt da das von der UNO verbriefte Recht des Kindes?

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