Große Gesten unter niedrigen Balken

TRIER. Von den einen kultisch oft als "der einzige und beste Entertainer des Landes" verehrt, ist der Hamburger Liedermacher Bernd Begemann vielen noch völlig unbekannt. Eine sträfliche Wissenslücke, wie Begemann zum wiederholten Mal im Balkensaal des Trierer Exhauses bewies.

Bernd Begemann macht sich Sorgen: Ein Teil der Konstruktion, nach der der Balkensaal benannt ist, befindet sich nämlich bedrohlich nah überm Schädel des Hamburger Musikers. Und das, wo er doch so gerne richtig loslegt - ein unbedachter Hüpfer, und schon sind schlimmste Kopfverletzungen zu befürchten, die - da ist sich Begemann sicher - auch schon so mancher Nu-Metal-Bassist erlitten haben muss. Aber: "Wer braucht schon Bassisten?", spottet er. Begemann jedenfalls nicht: Der steht nämlich am Anfang seines langen Tourjahres ohne seine Band auf der Bühne, spielt also Gitarre und singt einige Songs zum Playback vom I-Pod. "Ihr habt es schön hier", zum Beispiel, das er kongenial ergänzt "...in Trier !" Überhaupt zeigt er sich als Meister der manischen Improvisation, er zieht Grimassen, nuschelt, hampelt rum und setzt dann wieder auf die ultracoole, große theatralische Pose - das alles vor rund 120 Leuten, die ihm sowieso aus der Hand fressen. Zum Sterben schöne Balladen

Seine Anzugjacke muss nach dem dritten Song runter, denn "Bernd" macht keine halben Sachen: Der Schweiß fließt, das Programm scheint bis zum Auftritt nicht festzustehen, Publikumswünsche werden gerne angenommen und dann widerwillig erfüllt. Die Texte zu seinen ehrlichen, dann wieder völlig überdrehten Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen ("Wir sind alle in der Ikea-Falle") und das Liebes-"Glück" im Besonderen ("Ich habe nichts erreicht außer Dir") finden sich sicherheitshalber auf einem gigantischen Poster auf dem Boden. Begemann versucht, im Spontan-Quiz seine CDs zu verlosen, aber erst fällt ihm keine Frage ein. Und dann kann niemand den sinnlosen Anfang von "Miami Vice" erklären - so gibt es die CDs auch ohne Gegenleistung. Nicht ganz ohne die gibt es Lieder wie "Judith, mach deinen Abschluss" und die Besucherin, die sich "Wir werden tanzen" gewünscht hat, durfte sich das Lied selber singen. Und was bei anderen Musikern als "Zugabe" gilt, ist bei Begemann erst der Einstieg in die zweite Hälfte des Konzerts: Hier darf nun endgültig gesponnen werden, was das Zeug hält: Völlig unglaubliche Beach Boys und Bryan Adams-Cover jagen einander und werden doch wieder durch zum Sterben schöne Balladen unterbrochen ("Unten am Hafen, wo die großen Schiffe schlafen"). Erst als der angeblich aus dem Nachlass der Kultband "Can" stammende Verstärker Bedenken anmeldet, neigt sich das Konzert nach dreieinhalb Stunden dem Ende zu - auf der Bühne. In den Herzen der Gäste hält es sicher noch ein paar Wochen vor.

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