„Hat ja gar nicht weh getan“

TRIER. An rund 50 Orten im Stadtgebiet konnten gestern mehr als 78 000 Trierer ihre Stimmen für Europa- und Kommunalwahlen abgeben. In Heiligkreuz beherbergte die örtliche Grundschule gleich drei Wahllokale.

Von unserem Mitarbeiter
MARCUS STÖLB

„Oh Gott oh Gott!“, schallt es durch den Klassenraum. „Das ist ja eine Zumutung“, seufzt die ältere Dame und faltet ihren gerade erst mühsam auseinander getüftelten Wahlzettel wieder zusammen. Mit dem Papier im Posterformat wird sie sich alsbald hinter einem Pappkartonverschlag verschanzen; die Wahlkabine verdeckt für Außenstehende, wie groß die Qual mit der Wahl denn wirklich ist.
Man sei mit der Resonanz bislang „zufrieden“, kann unterdessen Wahlhelferin Helga Kreber am frühen Mittag vermelden. Tatsächlich staut sich in diesem Moment die Schar der Wahlwilligen am Eingang des Wahllokals 5212 in Heiligkreuz. In den Kabinen wird eifrig angekreuzt, und offenbar nutzt man auch die Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren. Wie sonst ist zu erklären, dass viele Wähler erst nach zehn und mehr Minuten aus der Deckung kommen, um ihre vier Wahlzettel schließlich in den beiden Urnen zu versenken?
Nein, wirkliche Probleme gebe es nicht, sagt derweil Werner Schlesier, stellvertretender Wahlvorsteher des Stimmbezirks. Nur selten gebe es Fragen zum Wahlsystem, und aus Erfahrung erwarte er, dass nur wenige Stimmzettel ungültig sein werden.
Schlesier und Helga Kreber sind zwei von annähernd 1000 Wahlhelfern an diesem Tag; lang gediente obendrein. „Oh, ich mach’ das schon ewig“, sagt Helga Kreber schmunzelnd, um dann konkret zu werden: „Seit mindestens 35 Jahren bin ich schon dabei.“ Dass sie aus selbstlosem Idealismus immer wieder Wahlsonntage in Grundschulen oder Sparkassen verbringt, behauptet sie erst gar nicht. „Ich bin bei der Stadtverwaltung“, sagt sie stattdessen, und dort würden seit jeher viele Wahlhelfer rekrutiert. Für das Ehrenamt gibt’s übrigens ein „Erfrischungsgeld“ von aktuell 25 Euro. Wer auch am Montag noch beim Zählen hilft, erhält zusätzlich 16 Euro. Eine Anerkennung für die geopferte Freizeit.
„Den Dings hab ich ganz fett durch gestrichen“, tönt unterdessen ein Mann vor dem Wahllokal und erfreut mit seiner vermeintlich heroischen Tat die Freundin. Ob er in einem Anfall von Emotionen auch gleich noch einen unflätigen Kommentar auf den Wahlzettel gesetzt hat? Dann wären seine Stimmen ungültig, weiß Vize-Wahlvorsteher Schlesier zu berichten. Denn erlaubt sind auf dem Stimmzettel lediglich Striche und Kreuzchen. Wer sich zu einem gekritzelten Kommentar – ob positive oder abfällig – hinreißen lässt, dessen Stimmen sind ein gefundenes Fressen für den Reißwolf.
Schlesier bereitet unterdessen die Auszählung für den Abend vor und beklebt Din-A-4-Umschläge mit Aufklebern, auf denen Kürzel wie „D1a“ stehen. In diesen Umschlag kommen nach 18 Uhr all jene Stimmzettel für die Stadtratswahl, bei denen ausschließlich die Liste 1 angekreuzt wurde. „Wahlvorschlag unverändert angenommen“, heißt das dann im Wahlbürokratenjargon. Am Abend werden die Zettel von Bedeutung sein: Schließlich werden die Listenstimmen einen ersten Trend des Ergebnisses ermöglichen.
Ob auch die ältere Dame einfach nur eine Liste angekreuzt hat? Erleichtert wirft sie ihre Umschläge in die beiden Urnen. „War’s das schon?“, fragt sie ein wenig ungläubig den Wahlhelfer. „Hat ja gar nicht weh getan.“

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