Möbelpacker im Chaoskampf

TRIER. Bierdosen bis unters Dach beim Ex-Pfarrer, Zeitungsbergmassive bei der gutbürgerlichen Dame, ein flohdurchseuchtes Horrorhaus beim alternden Alkoholiker: Das Räumkommando vom Trierer Bürgerservice packt auch zum Himmel stinkende Ausmistungsfälle an. Im Schutzanzug, mit Maske, Handschuhen und Spray wühlen die Möbelpacker im Wahnsinn von nebenan.

Es ist kurz nach 7 Uhr in der dunklen Lagerhalle. In durchgesessenen Polstergarnituren vergangener Räumzüge drängen sich 14 Männer und eine Frau. Es ist auffallend still. Fröstelnd zittern die Entrümplungschwadrone den Nahkämpfen mit sperrigem Haus- und Hofrat entgegen, die sie heute erwarten.Viele Leute sammeln irgendwas bis zum Exzess

Immer wieder verstecken sich zwischen den Routineräumungen materielle Zeugnisse menschlicher Abgründe: "Viele Leute sind wirklich krank", urteilt der Einsatzleiter für "Sonstige Dienste" beim Bürgerservice Jörg Gerth, während er die Räumkommandos für den Tag einteilt. So wie eine Frau, die in der Trierer Innenstadt zwischen Bergen fein säuberlich gestapelter und gebundener Zeitungen gelebt haben soll. "Da waren nur noch schulterbreite Gänge zu Herd, Bett und Bad frei. Am Ende haben wir drei oder vier Container Altpapier aus der Wohnung geschafft", erzählt der Entrümplungsprofi. Auftraggeber der Räumaktionen seien Hausbesitzer oder geprellte Vermieter, in Extremfällen schalteten sich sogar Gesundheitsamt und Kommune ein, verrät er. Inzwischen geht es für Sonja Thielen und drei Kollegen im Pritschenwagen zum Einsatz in eine schicke Wohngegend. Ein verwilderter Garten mit Tonnen von Holzpaletten, Zankapfel im nachbarschaftlichen Kleinkrieg, wartet auf das Packkommando. "Das Grundprinzip ist immer gleich. Die Leute sammeln irgendwas bis zum Exzess. Sehr oft würde man es bei ihnen nie vermuten, wie hier mitten im Nobelviertel." Jürgen Hermesdorf spricht aus Erfahrung. Durch alle Schichten will sich der 55-Jährige in seinen 13 Jahren als Entrümpler schon gekämpft haben. Zum Beispiel im "Horrorhaus in Konz, wo man aufpassen musste, dass einem die Ratten nicht über die Finger laufen." Zwei- bis dreimal Floh- und Läusekur im Jahr seien in guten Entrümplungszeiten nötig gewesen - trotz Ganzkörperschutzanzug, Handschuhen und Insektenspray. Auch, dass einmal ein Handgranatenzünder beim Räumen in seinen Fingern explodierte, sei eben Berufsrisiko, sagt der ehemalige Binnenschiffer. "Wir machen alles, was sonst keiner machen würde", hatte Gerth ihm erklärt. Dabei helfen auch mal Arbeitskräfte "von Staats wegen". Beim Fliesen rausreißen, Mauern weghauen, Möbel aufbauen oder eben beim Entrümpeln von Haus und Hof brummen sie gerichtlich verordnete Sozialstunden ab. Heute sind nur Festangestellte dabei. Immer wieder, Stunde um Stunde, passieren die Vier schleppend die müllgesäumte schmale Passage am feinen weißen Haus vorbei. Arm für Arm reißen sie übermannshohe Holztürme nieder. Der schwergewichtige Günther Lehder (48), den vor drei Jahren das Arbeitsamt schickte, steht ärmellos in herbstlicher Kühle, Schweißperlen auf der Stirn. Thielen hatte sich vorher mit Aushilfsjobs über Wasser gehalten. Seit zwölf Jahren steht die 35-Jährige mit der roten Basecap über den braunen Zöpfen nun schon ihren Mann beim Möbelschleppen. "Einer muss es ja machen", sagt die schmale Frau. Und lacht: "Warum nicht ich?" "Ekelgefühl darf man allerdings nicht haben", sinniert sie, während Hermesdorf erzählt, wie sie einmal drei blaue Säcke voller Zigarettenkippen aus einer total versifften Wohnung schaffen mussten. "Noch nach der Totalentrümplung und Desinfektion kamen dicke braune Maden aus den Dielen gekrochen", bemerkt der Räumungs-Routinier trocken. Und trotzdem: "Die Arbeit macht Spaß. In der Fabrik würde ich bekloppt", sagt er. Plötzlich erscheint der Holzbesitzer in Shorts und Pantinen auf der Bildfläche, wirft sich verzweifelt zwischen Paletten und Packer. Doch aller Widerstand ist zwecklos. Heute wird hier ein voller Sieben-Tonnen-Container angebliches Heizholz abgeholt und ein ganz normaler Arbeitstag im Kampf gegen das Chaos geht vorbei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort