Nennt mich Silvianus Artisticus...

MARIAHOF. "Schlimm’ Ding, schlimm’ Ding", schüttelt Quatschnicht, der Geschichtenerzähler, den Kopf. Holt einen Besen hervor, wirbelt ihn herum, jongliert, und wird zu Silvianus Artisticus. Hinter diesen Gesichtern, die nicht nur Fassade, nicht nur Rolle sind, verbirgt sich Silvio Gerhards, Gaukler, Musikant und Akrobat.

"Allround-Künstler" nennt sich Silvio Gerhards. Dem Mann mit dem wilden blonden Haar und dem buschigen Vollbart haftet etwas Geheimnisvolles, Mysteriöses an. Ein Geheimnis macht er tatsächlich aus seinem Alter. "Und das schon seit einiger Zeit", schmunzelt er. Doch das scheint weniger mit Koketterie zu tun zu haben als mit dem Versuch, den Figuren und Rollen, in die er schlüpft, einen Zauber zu verleihen, der seine ganz spezielle Wirkung auf sein Publikum ausübt. Als Silvianus Artisticus verblüfft er mit akrobatischen Kunststücken, bezirzt die Damen als Musikant und belustigt als Geschichtenerzähler die geneigten "spectatores" mit skurrilen Geschichten. "Ich bin schon jemand, der gerne die Fassade wechselt - auch privat", sagt Silvio. "Mein Metier ist das Mittelalter. Ich will die Menschen unterhalten, ihnen Spaß bereiten, und ich habe die staunenden Blicke gern. Ich werde gern bewundert, das ist wie Benzin für mich", sagt der Überlebens-Künstler. Vor allem umrahmt er die Rittermahle auf Burg Rittersdorf, tritt aber auch auf Mittelalter-Märkten und Gaukler-Festen im gesamten Bundesgebiet, aber selten in Trier auf. Doch die Auftragslage sei im Moment alles andere als rosig. "Überlebens-Künstler trifft es ganz gut, ich glaube schon, dass man mich so nennen kann." Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen betreibt Gerhards seine Gaukeleien hauptberuflich. "Ich komme nicht als Gaukler mit dem kleinen Köfferchen irgendwohin." Zu seinen Auftritten fährt er mit einem roten Lastwagen, der nahezu bis unters Dach beladen ist mit Kostümen, Instrumenten, technischen Apparaten und Requisiten. Die findet er auf Flohmärkten, Kleiderbasaren, im Internet oder er bastelt sie selbst. "Außerdem entfremde ich gerne einige Hilfsmittel." Auch sein Domizil, das er, seit er 18 Jahre alt war, im Hofgut Mariahof gefunden hat, ist ein halbes Museum. Bis unter die Decke hat er dort mit vielen Exponaten einen großen Teil seines Gaukler- und Musikantenlebens zusammengetragen und archiviert. Mit sechs Jahren war er das erste Mal zum Reiten auf dem Gut, mit 16 hatte er dort eine "Bude" mit seinen Freunden, wo die Jungen auch schon mal übernachtet haben. Früh war er von zu Hause ausgezogen, erlernte einen soliden Beruf, machte das Abitur nach und begann ein Pädagogik-Studium, das er kurz vor dem Diplom an den Nagel hängte. Die "Sensoren" für Menschen hatte er schon immer, ins Künstlerdasein sei er so hineingerutscht, verrät er. Da sei wenig geplant gewesen wie bei einigen Gaukler-Kollegen, die akribisch konstruieren und konzipieren. Gaukler ist nicht gesellschaftsfähig

Ob er in seiner Kammer mit dem bullernden Ofen sitzt, durch seine Nickelbrille schaut, am Computer arbeitet, sich Geschichten ausdenkt, an neuen Ideen bastelt oder im Hof das Einradfahren, Jonglieren oder andere Kunststücke übt - Silvio Gerhards kann auf Mariahof ganz er selbst sein. Dort findet er die nötigen Freiräume. Mit den Menschen im Stadtteil hat er wenig Kontakt. "Ich habe viel Zeit, die ich aber auch brauche, um meine Kreativität auszuleben. Ich habe immer etwas zu basteln, zu reparieren. Und ich brauche viel Platz und Bewegungsfreiheit." Kinder sind Silvio gegenüber aufgeschlossen, schauen ihn staunend, aber nicht abwertend an. Bei Erwachsenen sei das oft anders. "Ein Gaukler ist eben nicht so gesellschaftsfähig. Immer noch nicht", bedauert er. Aber Dank und Zuspruch, die glücklichen Menschen, die nach seinen Auftritten wieder ein wenig zum Kind geworden seien, sind ihm Lohn genug, um alle Schwierigkeiten, die ein Künstlerleben mit sich bringt, zu meistern.

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