Nie auf Nummer sicher

TRIER. Nach Erich Kästner und Kurt Tucholsky widmet sich das Max-Tuch-Theater mit Christian Morgenstern erneut einem der großen deutschen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts. Die Endproben für die Revue "Die Rehlein beten zur Nacht" laufen in der Tufa zurzeit auf Hochtouren.

"Ihr müsst souverän sein!" Ein übers andere Mal schallt der Ruf vom Regie-Pult. Regisseurin Birgit Hoffmann stellt hohe Anforderungen an ihre Truppe - und manchmal auch schier unmögliche. Eine bestimmte Haltung kann man lernen, eine Bewegung oder eine Geste. Aber Souveränität? Das braucht Routine und langjährige Praxis. Und das Max-Tuch-Ensemble wird als freie Theatergruppe Jahr für Jahr neu gemischt, muss immer wieder Neulinge integrieren, mit unterschiedlich ausgeprägtem Talent. Die meisten freien Gruppen reduzieren unter solchen Bedingungen verständlicherweise ihre Ansprüche, gehen auf Nummer sicher. Im Falle Morgenstern hieße das: nette Gedichte, fröhliche Musik, schwungvolles Kabarett. Eine Revue eben. Aber Birgit Hoffmann macht das Gegenteil: extrem stilisierte Bewegungen, höchste Künstlichkeit im Ausdruck. Das ist Millimeterarbeit, detailversessen, nach Metronom-Takt. Nichts geht "mal eben so". Beinharte Arbeit für die Schauspieler, die die Bilder-Fantasie ihrer Regisseurin umsetzen sollen, in Tanzschritte und Formationen, Blicke und Gesten, Sprech- und Gesangspassagen. Der kleine Saal der Tufa ist die letzte Station einer Produktion, deren Erarbeitung bereits vor einem Jahr begonnen hat. Wer das Stillleben im Zuschauerraum beobachtet, mit herumliegenden Klamotten, Schuhen, Wasserflaschen, Textbüchern und Notizzetteln, der würde kaum ahnen, dass die zwölf Akteure auf der Bühne bereits seit Oktober 2005 proben, einen Abend pro Woche, einen Samstag pro Monat nebst einem langen Klausur-Wochenende. Perfektionismus erfordert Geduld. Vor allem, wenn die Ambitionen dem "großen" Theater entsprechen, die Ressourcen aber nicht. Wo andernorts Regie-Assistenten, Dramaturgen, Ausstatter und Beleuchter zu Gange sind, waltet bei Max Tuch alleine Bernhard Hoffmann, Ehemann der Regisseurin und allumfassendes Produktions-Faktotum. Nicht nur er braucht Geduld, auch die anderen mit ihm, wenn er wie Rumpelstilzchen zwischen Bühne, Pult, Klavier und Technik hin- und herspringt. Da macht sich ein ruhender Gegenpol nicht schlecht, und der sitzt mit Bernhard Nink am Klavier. Seine musikalischen Elemente kommen in dieser letzten Probenphase erst dazu - was die Anforderungen an die Darsteller noch einmal deutlich erhöht. Denn das Klanggerüst bilden keine Mitsumm-Melodien, sondern Stücke von Eric Satie mit ihrer vertrackten Rhythmik und gepflegten Melancholie. Die Gnossiènne No. 1 etwa ist wunderbar anzuhören, aber sich dazu im Takt zu bewegen und dann auch noch wie Tiere zu grimassieren, ist mörderisch schwer. Stück für Stück schält sich ein Morgenstern heraus, der weniger mit dem heiteren Früh-Dadaisten zu tun hat als mit seinem Zeitgenossen Kafka. Das Max-Tuch-Theater scheint sich zum Spezialisten für das Aufbrechen von Klischees zu entwickeln. Hinter dem "Gebrauchsschreiber" Erich Kästner entdeckte man einen Poeten, hinter dem Polemiker Tucholsky einen sensiblen Menschen-Beobachter. Bei Christian Morgenstern, das zeigen schon die Proben, gibt es auch einiges zu entdecken. Die Premiere ist am Freitag, 29. September, Vorstellungen sind am 8., 25., 27., 28. Oktober und am 3., 8., 11. November.

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