Reise durchs Tunten-Universum

Keine Pumps, keine Perücke, noch nicht einmal Wimperntusche. Patrick Hamm erfüllt nicht die Erwartungen, die der Titel seines Buches "Die Diva ist ein Mann. Das große Tuntenbuch" schürt.

 Ohne Federboa und Stöckelschuh von Trier aus durchs Tunten-Universum: Diplompsychologe Patrick Hamm verhilft mit seinem Buch dem Begriff und Lebensgefühl Tunte zur Rehabilitation. TV-Foto: Cordula Fischer

Ohne Federboa und Stöckelschuh von Trier aus durchs Tunten-Universum: Diplompsychologe Patrick Hamm verhilft mit seinem Buch dem Begriff und Lebensgefühl Tunte zur Rehabilitation. TV-Foto: Cordula Fischer

Trier/Köln. Der 42-Jährige Patrick Hamm ist Diplompsychologe, Therapeut, in zweiter Linie Autor und "Tuntenliebhaber".Hamm braucht kein Chichi, keine Farbe im Gesicht, keinen Stöckelschuh. "Schminke ist das Letzte. Ich habe mich ein Mal schminken lassen, aber finde es ekelhaft, das Zeug im Gesicht zu haben", sagt er. Klar, Hamm ist keine Tunte. Aber er gibt zu, verletzlich zu sein, feminine Seiten zu haben.Dieses Geständnis erscheint ungewöhnlich für einen Mann. Denn Männer müssen Macker und Machos sein. Zeigen sie Gefühle, sind sie doch Tunten. So zumindest sieht es manche herkömmliche Rollenzuteilung und das Bild vom männlichen Ideal vor.Männer dürfen bedürftig sein

Patrick Hamm räumt auf mit Schubladendenken und Vorurteilen. "Männer dürfen bedürftig sein", dürfen zu Gefühlen und sogenannten femininen Seiten stehen, weiß er aus seinem Beruf. In seiner Kölner Praxis und bei der Trierer Pro Familia arbeitet Hamm mit Männern, Paaren und Frauen, ist Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainer und Sportpsychologe.Die Vorstellung, als Mann müsse man alles im Griff haben, sei heute nicht mehr zeitgemäß. Das könne aber bei manchen Männern, die mit ihren starken Frauen nicht mehr Schritt halten könnten, in einem Teufelskreis aus Verunsicherung und Gewalt gipfeln.Bei wenigen, die sich auf die Suche nach ihrer Position als Mann begeben, führt das aber auch dazu, Rollenklischees in Frage zu stellen, "übertrieben und mit Freude damit umzugehen" und die Vielfalt der Möglichkeiten zu nutzen, um weibliche und gefühlvolle Seiten zu kultivieren. "Und das hat nicht zwangsläufig etwas mit Perücke und Fummel zu tun."Er klärt auf, informiert und ist dabei auch noch unterhaltsam. "Tunten werden häufig belächelt. Und der Begriff Tunte wird oft als Schimpfwort benutzt", erklärt der Diplompsychologe, der dem Begriff und der Lebensform zur Rehabilitation verhelfen will. Im Prinzip hat das dann auch etwas Frauenfeindliches. Denn Tunte sei der Inbegriff für alles, was mit Femininität zu tun habe.In seinem Buch gibt er Auskunft über Lebensgefühl, politische Haltung und den gesellschaftlichen Anspruch, der hinter der meist schillernden Fassade steht, die sich Männer zulegen, wenn sie ihre Lust am Spiel mit den Geschlechterrollen inszenieren. Hamm sammelte Beiträge über und von 250 Männern, die sich abseits gängiger Männlichkeitsklischees bewegen und wohl fühlen. Er verschickte Fragebögen, in denen die Befragten unterhaltsame Einblicke ins Tunten-Universum gewähren. Er präsentiert zahlreiche eindrucksvolle Szene-Fotos, erklärt Körpersprache, stellt Besten-Listen auf.Ebenso wie die Protagonisten seines Buches, "passe ich auch in keine Schublade", sagt Hamm. Deswegen mag er sich auch an dieses schrille und bunte Thema gewagt haben. "Das aber doch nicht so weit vom gutbürgerlichen Alltag entfernt ist." Denn es geht darum, den eigenen Weg zu finden.Eine Biografie so bunt wie ein Paillettenkleid

Vom Abitur am Max-Planck-Gymnasium bis übers Studium in Berlin und Paris hat Patrick Hamm seinen Weg gesucht. Er war Gruppenleiter in der Katholischen Studierenden Jugend und als Leistungssportler in Leichtathletik und Fußball erfolgreich: Obwohl Hamm ein Fan der Tunten, Drag-Queens und Travestie-Künstler ist: Er ist ein "Kerl", ohne Federn und Pailletten, mit einer Biografie, die auf andere Art so bunt wie ein Paillettenkleid ist.

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