Schreiben für mehr Toleranz

TRIER. Mit neuem Konzept ist die rheinland-pfälzische Obdachlosen-Zeitung "Platte" in den Verkauf gegangen: Wurde sie früher kostenlos ausgelegt, ist die neu gestaltete Zeitung nun bei Obdachlosen für einen Euro erhältlich. In der Trierer Innenstadt verkauft Jörg Zimmermann die "Platte".

"Ich habe diese beiden Ausgaben schon. Aber nimm die trotzdem mal", sagt eine Passantin zu Jörg Zimmermann und wirft ihm ein paar Münzen in den umfunktionierten Topf. Dann streichelt sie Lucy, der neun Wochen alten Hündin des Obdachlosen, über den Kopf. "Es wird nicht gejammert"

Wie die Frau kommen an diesem Morgen einige Passanten bei Zimmermann vorbei, der sich mit einem Stapel Exemplare der Obdachlosen-Zeitung "Platte" vor dem Schaufenster eines Blumengeschäfts am Trierer Hauptmarkt platziert hat. Die Besucher plaudern kurz, geben ihm ein bisschen Kleingeld, spielen mit dem Hund - oder kaufen die "Platte". Zwölf Zeitungen hat Zimmermann innerhalb weniger Stunden verkauft. "Mal gehen zwei Stück weg, mal 20. Das ist wetterbedingt." Seit einigen Monaten verkauft Jörg Zimmermann die Zeitschrift "Platte" - als einziger in Trier. Früher lag das Blatt in sozialen Einrichtungen kostenlos aus. Heute ist es für einen Euro zu haben, von dem 60 Cent beim Verkäufer bleiben. Er habe dadurch zwar nicht mehr Geld als früher, sagt der Obdachlose. "Aber ich bin immer auf der Straße. Da kann ich auch die Zeitung verkaufen. Das ist besser, als nur die Hand aufzuhalten." Schließlich versteht er den Verkauf der Zeitschrift auch als Öffentlichkeitsarbeit. So komme er mit den Leuten ins Gespräch, und außerdem gehe es in der "Platte" um die Lebensbedingungen von Wohnungslosen. "Sie klärt auf. Es wird darin nicht gejammert", sagt der 45-Jährige, der die Zeitung selbst gerne liest. So finden sich Geschichten und Gedichte aus der Feder von Wohnungslosen, Porträtfotos, ein sozialer Leitfaden, Nachrichten und ein Prominenten-Interview darin. In der aktuellen Ausgabe ist Ministerpräsident Kurt Beck im Gespräch mit Ralf Blümlein, dem Vorsitzenden der Obdachlosen-Initiative "Platte" mit Sitz in Bingen. Von ihr wird die Zeitung herausgegeben, gefördert vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit und unter Schirmherrschaft seiner Ministerin Malu Dreyer. Die Zeitung erscheint alle drei Monate in einer Auflage von 7500 Stück. Der Herausgeber setzt auf Farbe und Hochglanzpapier. Das sei sogar noch günstiger als das Recyclingpapier, auf das zuvor gedruckt wurde, erklärt Ralf Blümlein. Mit den Verkaufszahlen ist er zufrieden: "Es lässt sich gut an." Nur Werbung würde er sich für das Heft noch wünschen: "Das ist nicht so einfach. Ich habe den Eindruck, dass es von Seiten der Unternehmen eine Hemmschwelle gibt."Sieben Verkäufer

Mit sieben festen Verkäufern arbeitet Blümlein derzeit zusammen. Sein Trierer Mitarbeiter Jörg Zimmermann ist auch in anderen rheinland-pfälzischen Städten unterwegs. "Ich kann nicht lange an einem Ort bleiben", erzählt der Obdachlose. "Dann bekomme ich Reisefieber." Doch Rheinland-Pfalz ist der gebürtige Nordfriese seit 24 Jahren treu. Seit seinem 15. Lebensjahr kennt er die Widrigkeiten eines Lebens auf der Straße wie die, ständig verscheucht zu werden. Mit den Trierer Händlern gebe es jedoch keine Probleme. "Die Leute hier kennen mich. Es ist ein gutes Miteinander", sagt er. Und wünscht der Passantin einen schönen Tag.

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