Selbsthass und Ekel bekommen den Vorzug

TRIER. In unserer Überflussgesellschaft ist es gar nicht so leicht, das richtige Maß fürs Essen zu finden. Vor allem junge Menschen kamen in den kleinen Saal der Tufa, um sich über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten von Magersucht und Bulimie zu informieren.

Wer von uns fühlt sich wirklich schön? Klapprige Laufstegmodels, retuschierte Hochglanzbilder und perfekt gestylte Werbeschönlinge prägen das gesellschaftliche Schönheitsideal und lassen den "Normalo" stark an seinem äußeren Erscheinungsbild zweifeln. Die Fitnessbranche boomt, und "Diät-machen" ist längst zum Volkssport geworden. Problematisch wird's, wenn der Abnehmwahn zum Zwang wird. Besonders bei jungen Menschen zwischen 15 und 30 besteht die Gefahr, dass sie auf dem Weg zur Traumfigur eines der beiden Krankheitsbilder Anorexie beziehungsweise Bulimie entwickeln. Menschen, die an Anorexie (auch Magersucht genannt) leiden, verweigern fast jede Nahrungsaufnahme. Bei bulimisch Erkrankten kommt es dagegen häufig zu unkontrollierten Fressattacken mit anschließendem Erbrechen. Das schlechte Gewissen über die extreme Kalorienaufnahme wird zusätzlich durch den Missbrauch von Abführmitteln, Hungern oder extremem Sport beruhigt. Dem Körper werden auf diesem Wege wichtige Nährstoffe entzogen. Die Todesrate liegt bei diesen Erkrankungen bei 20 bis 30 Prozent. Jutta Schmitt, Diplom-Psychologin und Therapeutin an der psychosomatischen Fachklinik Münchwies, informierte die Zuhörer darüber, dass ihre Patienten neben einem extremen Schönheitsideal oft auch ein geschwächtes Selbstbewusstsein haben. "Wenn ich die Latte immer auf 2,30 Meter lege, aber nur 1,20 Meter springen kann, bin ich ständig frustriert." Bei einigen Patienten bedingt ein tiefer sitzendes Trauma wie zum Beispiel sexueller Missbrauch die Essstörung. Viele der Patienten empfinden Gefühle wie Angst, Wut, Selbstzweifel und Trauer als unerträglich und verdrängen diese durch "das Kotzen". Der nach dem Erbrechen empfundene Selbsthass und Ekel sei für viele leichter zu ertragen, als die alltäglichen Konflikte in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz. So wird die Essstörung zur Überlebensstrategie. "Diesen Widerspruch müssen die Patienten unbedingt selbst erkennen. Eigenverantwortlichkeit ist der einzige Ausweg. Da hilft auch keine Essenskontrolle oder das Zusperren des Klos." Aus diesem Grund versucht Jutta Schmitt in Einzel- und Gruppengesprächen, vor allem die Ursachen zu erforschen. "Ich rede mit den Frauen über alles, außer übers Essen." Um eine Normalisierung des Essverhaltens zu erreichen, sind der Aufbau des Selbstbewusstseins und eine neue Lebensplanung enorm wichtig. Hierbei können vor allem Selbsthilfegruppen helfen. Studentinnen der Uni Trier planen für Beginn nächsten Jahres eine Selbsthilfegruppe "Essstörung". Informationen dazu unter www.sekip.de. Eine Beratung sowie weitere Auskünfte für alle Betroffenen und deren Angehörige bietet Sozialpädagogin Gisela Feld an, Telefon 0651-715-564, E-Mail fegi@trier-saarburg.de.

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