Trapez-Weib mit Rubens-Figur

Sie ist hemmungslos, zeigt sich ungeniert, kokettiert - ohne Gardemaß und Grazie: Miss Dorothea ist der heimliche Publikums-Liebling im vierten Trierer Weihnachtszirkus. Hinter der überzeichneten Zirkusfigur steckt viel Arbeit. Darstellerin Barbara Schnegg ist mit dieser Nummer nach zehn Jahren Pause wieder in die Manege zurückgekehrt.

 Ungelenk und ohne Scham: Miss Dorothea macht mit ihren Rubens-Rundungen eine gute Figur in der Manege. TV-Foto: Cordula Fischer

Ungelenk und ohne Scham: Miss Dorothea macht mit ihren Rubens-Rundungen eine gute Figur in der Manege. TV-Foto: Cordula Fischer

Trier. Miss Dorothea - der Name verspricht Feuer, Anmut. Die Zirkusnummer am Trapez verspricht Leichtigkeit, Eleganz. Aber was da ungelenk, plump und wuchtig ins Rund der Manege des Trierer Weihnachtszirkus stolpert, lässt das Publikum schmunzeln. "Was, die will da rauf?", fragt ein Zuschauer ungläubig. Und doch, leicht wie eine Feder zieht sich Miss Dorothea am Seil empor, hängt zwar erst wie ein nasser Sack am Trapez, zeigt dann aber trotz der, der Rolle geschuldeten, unbeholfen wirkenden Bewegungen eine unglaubliche Gelenkigkeit und erstaunliche Körperbeherrschung, schwingt sich in schwindelnder Höhe durchs Zirkuszelt, spreizt die Beine zum Spagat.

Ein Spiel mit Klischees, Körperkult und Kilos



"Die ist so, wie sie ist, laut, schrill, schamlos. Der nimmt man nichts übel", sagt Barbara Schnegg. Denn Dorothea ist kein Mager-Model, hat keine Wespentaille, hungert nicht. Einer Dicken - der sieht man einiges nach, die darf stolpern, sich räkeln, das Gesicht zur Fratze verziehen, ihre Rundungen zeigen. Es ist das Spiel mit den Klischees, mit Körperkult und Kilos, mit gutem Benehmen und dem Tappen ins Fettnäpfchen. So viel Komik dem Auftritt innewohnt, so viel Perfektion in der Darbietung und artistisches Können stecken dahinter.

Hinter der Maske steckt Barbara Schnegg (38). Die gestandene Zirkus-Künstlerin hat es nach zehn Jahren Manegen-Abstinenz wieder ins Rampenlicht gezogen. Vor einem Jahr hat sich der Wandel zu Dorothea vollzogen. Nicht nur nicht mehr die Jüngste für die harte Artisten-Arbeit, "mit 30 ist es damit eigentlich vorbei", auch nicht die Leichteste für Luftnummern, hat sich Barbara Schnegg aus Thun (Schweiz) mit viel Disziplin und pausenlosem Training, mit endlosem Feilen am Ausdruck mit Choreograf Andre den Haan (er arbeitete unter anderem für Illusionist Hans Klok) in die Spitze der Zirkus-Kuppel zurückgearbeitet. "Am Anfang wollte ich gehen, nicht mehr weitermachen." Dann aber überwog der Spaß, das Adrenalin, das Hochgefühl, als der erste Klimmzug, als der erste Spagat wieder klappten. Ein gewisser Berufs-Automatismus stellte sich mit der Zeit ein, ohne dass das Gefühl ins Abseits driftete.

"Was soll ich sonst machen? Ich war immer beim Zirkus, ich kann nichts anderes", sagte Barbara ihren Eltern, die ihr zu einem "anständigen" Beruf rieten - sie ließ sich zwei Jahre zur Verkäuferin ausbilden - und die 18 Jahre nach ihrem Gang in die Zirkusschule in Budapest wenig Verständnis für die Ehrenrunde in der Manege zeigten. "Zirkus ist nicht meine Heimat, aber mein Leben ist es schon", sagt die 38-Jährige.

Obwohl sie wortwörtlich "bis aufs Blut trainiert" hat, blaue Flecken, aufgeschürfte Haut und Striemen davongetragen hat, hat sie sich allen Schmerzen zum Trotz immer wieder ans Solo-Schwung-Trapez geschwungen - bis heute mit Begeisterung und "Glücksgefühlen", wenn die Vorstellung gelungen ist. Dass sie nicht mehr Gardemaß besitzt, ist kein Defizit. Dorothea funktioniert nur mit der Rubens-Figur. "Nein, geschämt wegen der Figur habe ich mich nie. Und die ewige Hungerei hat mir gereicht." Disziplin ist dennoch an der Tagesordnung, sich zu quälen auch - für den Applaus. Denn: "Trapez-Weiber sind hart."

Noch bis einschließlich 4. Januar (außer Neujahr) gibt es täglich zwei Vorstellungen (15.30 und 19.30 Uhr) im Trie rer Weihnachtszirkus im Messepark.

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