Vergeben, aber nicht vergessen

TRIER. 1934 musste der damals 15-jährige Wolfgang Steinberg seinen Geburtsort Trier verlassen und hat in Israel eine neue Heimat gefunden. Trotzdem besucht er regelmäßig die Stadt, in der er aufgewachsen ist.

"Im Jahr 1943 habe ich meinen Glauben verloren", sagt Wolfgang Steinberg und meint das keineswegs flapsig oder ironisch. Damals arbeitete der gebürtige Trierer, der nach Palästina emigriert war, als Dolmetscher beim britischen Geheimdienst, verhörte zwei gefangene SS-Offiziere und erfuhr zum ersten Mal von den Vernichtungslagern in seiner ehemaligen deutschen Heimat - von Buchenwald und Auschwitz. Das hätte er nicht für möglich gehalten, sagt er, und bis heute klingt im Tonfall die Erschütterung von damals nach. Freundlichkeit und neugierige Distanz

Wolfgang Steinberg, der in Israel den Vornamen "Ze'ev" führt, steht vor der Porta Nigra und betrachtet die touristenbevölkerte Szenerie der Simeonstraße mit einer Mischung aus freundlichem Interesse und neugieriger Distanz. 1934, mit bald 16 Jahren, musste der Sohn eines vielseitig gebildeten jüdischen Ärzte-Ehepaars Heimatstadt und Heimatland verlassen und nahm alle Mühen und Entbehrungen des Siedlerdaseins in Palästina auf sich. Er führte ein Leben zwischen Handwerk und Kultur, zwischen harter Arbeit auf dem Feld und Intensivkursen in hebräischer Sprache. Und vor allem erlernte er die Kunst, die zu seinem Beruf werden sollte: die Bratsche zu spielen. 1942 trat er ins "Israel Philharmonic Orchestra" ein und stieg in diesem Orchester, dessen Streicherkörper auch heute noch zu den besten der Welt gehören, zum ersten Bratscher auf. Deutschland lag damals weit weg. Erst 1970 hat er Trier wieder gesehen. Und erst in den 1980er-Jahren hat er mit seinem "Israel String Quartet" im Kurfürstlichen Palais musiziert. Danach freilich sind die persönlichen Kontakte zu Freunden in Deutschland gewachsen und eng geworden. Wolfgang Steinberg gleicht einem offenen Buch. Trotz seiner fast 88 Jahre ist seine Stimme jung, sein Erzählstil farbig, lebendig, temperamentvoll. Im Café vor der Porta gräbt er Erinnerungen aus, an Personen, die ihm nahe standen, an die eine oder andere Begebenheit und lässt dabei deutlich spüren, dass seine Trierer Zeit glücklich war - in einem wohlsituierten, kunstsinnigen Elternhaus und in einer Stadt, in der es kein Makel war, Jude zu sein. "Antisemitismus habe ich in Trier bis 1933 nicht erlebt", sagt er. Und doch: Trotz dieser glücklichen Erinnerungen, trotz seiner deutschen Muttersprache - Ze'ev Steinberg ist ein Israeli der ersten Stunde. So kritisch er manchen Vorgängen in seiner neuen Heimat auch gegenübersteht, so unmissverständlich versteht er sich doch als Teil des jüdischen Staates, den er mit aufgebaut hat. Gewiss, Steinberg kommt Jahr für Jahr zu seinen Freunden nach Deutschland. Seit Anfang der 1990er-Jahre besitzt er einen deutschen Pass. Aber bei aller Freundschaft, bei aller Zugänglichkeit und bei aller Sympathie zu Deutschland, zu Trier und seinen Bewohnern bleibt doch ein unaufhebbarer Rest an Distanz. "Man kann vergeben, aber nicht vergessen", sagt er. Und dann kommt das Gespräch noch einmal zurück auf die Jahre 1933 bis 1945 und die aktuellen Probleme der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Viele, in Deutschland, aber auch in der Welt, hätten immer noch nicht begriffen, was in welch schrecklichen Dimensionen damals geschehen ist. "Aber es ist auch gar nicht notwendig, das jetzt wirklich zu begreifen. Entscheidend ist etwas anderes: dass man alles tut, damit sich das Unfassbare nicht wiederholt."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort