Vom Zeugenstand auf die Anklagebank

TRIER. Wegen uneidlicher Falschaussage musste sich eine 20-jährige Kauffrau vor dem Amtsgericht Trier verantworten. Der Fall zeigt exemplarisch, wie schnell man vor Gericht vom Zeugen zum Angeklagten werden kann.

Die Nacht zum 6. August 2001 wird Nicole R. wohl nie vergessen. Es war gegen Mitternacht, als vor dem Bürgerhaus Sirzenich eine Schlägerei losbrach. Ihr Begleiter wollte schlichten, um einen Freund zu schützen. Zwei Schläger schubsten ihn gegen eine Mauer, traten anschließend auf den am Boden Liegenden ein. Im Krankenhaus wurden später eine Gehirnerschütterung und Prellungen am ganzen Körper diagnostiziert. Nicole R. verhielt sich vorbildlich: Zunächst versuchte sie schlichtend einzugreifen, als sie dann selbst Schläge abbekam, alarmierte sie per Handy die Polizei. Sie mischte sich erneut ein, wurde niedergeschlagen - dann kamen die Ordnungshüter. Auf dem Moped fuhr sie hinterher, als ihr Begleiter ins Krankenhaus kam. Kaum angekommen, legten die Ärzte sie selbst ins Krankenzimmer. Ein Jahr später begann der Prozess. Nicole R. musste als Zeugin aussagen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Atmosphäre sei "aufgeheizt" gewesen, erinnert sich der Staatsanwalt, der damals die Anklage vertrat. Es habe viele "merkwürdige" Zeugenaussagen gegeben - typisch für Verfahren nach Jugend-Schlägereien, wo jeder seine Clique schützen will. Auch Nicole R. wird gefragt, ob sie gesehen hat, wie die beiden Schläger auf ihren Begleiter eintraten. Bei einem bejaht sie die Frage, beim anderen ist sie sich nicht sicher. "Soweit ich hingesehen habe, hat er nicht getreten", sagt sie zunächst. Dann gerät sie in die Zwickmühle der beiden Verteidiger. Diese hätten damals "unterschiedliche Strategien eingeschlagen", erinnert sich der Staatsanwalt. Sie wird gedrängt, sich festzulegen: Hat er getreten oder nicht? Nicole R. fühlt sich eingeengt, hat das Gefühl, dass "alle gleichzeitig auf mich einreden". Der Richter ("Er war ziemlich gereizt", erinnert sie sich) verlangt ein Wortprotokoll. Schließlich sagt sie, was sie besser nicht gesagt hätte: Dass einer der beiden Schläger ihren Begleiter definitiv nicht getreten habe. Eine Aussage, die sich im weiteren Verlauf des Verfahrens durch Zeugenaussagen als eindeutig falsch erweist. Mit fatalen Folgen für Nicole R. Denn nun erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sie: wegen uneidlicher Falschaussage. Dafür kann das Gericht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verhängen. So sitzt Nicole R. diese Woche selbst auf der Anklagebank, gemeinsam mit einem weiteren Zeugen aus dem damaligen Verfahren. Richter Thomas Becker hält ihr die seinerzeitige Aussage vor, fragt bohrend nach: "Das war doch falsch, was Sie gesagt haben. Wie konnte das passieren?" Immerhin habe der Richter sie auf die Folgen einer Falschaussage aufmerksam gemacht. Sie sei halt "furchtbar aufgeregt" gewesen, entgegnet Nicole, und habe deshalb "einen Fehler begangen". Aber die Aussage sei doch eindeutig, insistiert der Richter, "wieso haben Sie sich so festgelegt?" Seine Mandantin habe sich "festlegen lassen", hält Verteidiger Heinrich Herrmann dagegen. Er verweist darauf, dass Nicole R. nicht den geringsten Grund gehabt habe, den Täter durch eine Falschaussage zu schützen: "Schließlich gehörte sie zur Opferseite." Ein Argument, das auch den Richter beeindruckt. Es sei wohl in diesem Fall ausnahmsweise sinnvoll, "den Ball flach zu halten". Das dürfe aber kein Freibrief für einen lockeren Umgang mit der Wahrheit vor Gericht sein. Insbesondere jüngere Zeugen glaubten immer häufiger, "sie könnten erzählen, was sie wollen".Richter will "Ball flach halten"

Bei denen wird es wohl nicht immer so glimpflich enden wie bei Nicole R. Das Verfahren wird eingestellt, gegen Zahlung von 300 Euro Geldbuße. "Das soll Ihnen eine Lehre sein", mahnt Richter Thomas Becker zum Schluss. Für die 20-Jährige dürfte schon die Rolle der Angeklagten Abschreckung genug gewesen sein. Dass sie nicht bestraft wird, hält ihr Anwalt für nicht mehr als gerecht. Bei einem Schuldspruch wäre sie am Ende "wahrscheinlich härter bestraft worden als die Schläger, die das Verfahren letztlich verursacht haben", sagt Heinrich Herrmann. Die kamen nämlich seinerzeit mit sechs Monaten auf Bewährung davon.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort