Wehe dem, der aus der Reihe tanzt

TRIER. (ae) Ein wenig beachtetes und häufig verdrängtes Thema war Inhalt einer Autorenlesung auf der Landesgartenschau. Texte psychisch Kranker über ihre Erfahrungen und literarische Erzählungen zweier Autoren zum Thema Psychiatrie in der NS-Zeit und heute wurden gegenübergestellt.

Eingeladen hatten das Mainzer Sozial-Ministerium, vertreten durch Staatssekretär Richard Auernheimer, und der Verein zur Unterstützung gemeindenaher Psychiatrie in Rheinland-Pfalz, repräsentiert durch Winfried Hirschberger. Ironie des Schicksals, dass gerade diese Lesung, die ein Tabuthema in den Blick der Öffentlichkeit rücken wollte, unter einigen Schwierigkeiten litt. Weder fand sich eine Ankündigung im offiziellen Landesgartenschau-Programm, noch der kleinste Hinweis auf dem LGS-Gelände oder an der Tür des Veranstaltungsortes, der Offiziersmesse. Zudem konnte die Lesung erst mit halbstündiger Verspätung beginnen, da die von weither angereisten Teilnehmer mangels Hinweisen nicht ohne Probleme den Weg in die richtigen Räumlichkeiten fanden.Autorenlesungen mit Hindernissen

LGS-Helfer, die Besucherstühle aufstellen sollten, platzten etwa eine Stunde zu spät mitten in die Veranstaltung. Trotzdem entwickelte sich eine fesselnde Atmosphäre durch die von den Schriftstellern Ludwig Harig und Wolfgang Diehl vorgetragenen Texte. Harig, der aus Sulzbach stammt und mit zahlreichen namhaften Kunstpreisen ausgezeichnet wurde, trug eine Passage aus seinem Roman "Weh dem, der aus der Reihe tanzt" vor. Er schilderte darin seine Beobachtungen, die er als vierzehnjähriger Schüler eines Internats in der Nachbarschaft der geschlossenen Nervenheilanstalt Kalmenhof in Idstein im Taunus machte. Diese war damals (1941) Durchgangslager für das Euthanasie-Programm der Nazis. Der Schüler Harig sah, wie Kranke abtransportiert wurden, bemerkte auch, dass viele dort starben, wollte aber nicht wahrhaben, was tatsächlich geschah. In Schule und Hitlerjugend immer wieder geimpft von der herrschenden Ideologie, glaubte er an Phrasen wie "gegen diese armseligsten Schädlinge des Reiches muss zum Wohle des Volkskörpers vorgegangen werden". Dennoch ließen ihn diese Erfahrungen nicht los. Er arbeitete später an ihrer Bewältigung durch Studium und literarische Arbeit. Wolfgang Diehl, der sich vor allem um die Literatur und die literarische Szene der Pfalz verdient gemacht hat, las eine Erzählung über eine fiktive tragisch-komische Begebenheit in der Psychiatrie unserer Tage. Dabei wurde deutlich, dass es die Verschiebung der Sicht von Wirklichkeit ist, die jemanden auffällig macht. Ein Umstand, den ein Schriftsteller von außen beobachten und in Literatur umsetzen kann. Anders verhält es sich mit Psychiatriepatienten, die Ausgrenzung am eigenen Leib erfahren und sich mit ihren existentiellen Fragen über Leben und Tod oft alleine fühlen. Ihre literarischen Zeugnisse, von denen Diehl und Harig eine Auswahl vortrugen, geben tiefe persönliche Empfindungen wieder, in denen die Außenwelt als bedrohlicher oder befremdlicher Faktor auftritt. Die Situation der modernen Psychiatrie wird in diesen Werken kompetenter beschrieben. Die Lesung wird im Oktober in der Berliner Landesvertretung wiederholt, dort hoffentlich vor mehr Publikum.

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