Wo Milch und Honig fließen

KERNSCHEID. Ein Stadtteil, in dem Milch und Honig fließen: Fünf Landwirte und ein Imker leben und arbeiten in Kernscheid. Zahlreiche Bewohner versorgen sich auf den Höfen mit frischen Lebensmitteln.

Gärender Mist dampft vor dem Stall, Landluft weht durch den Brubacher Weg. Die Schaufel in der Hand, marschiert Erwin Morgen über seinen Hof, hält kurz an und rückt seine Kopfbedeckung zurecht: Ein Taschentuch schützt sein Haar vor andauerndem Nieselregen. Auch wenn Morgen vor 78 Jahren in Filsch geboren wurde - ein Kernscheider Original ist er allemal. Im Dorf nennen sie ihn den "Taschentuch-Morgen", weil man ihn selten ohne sein eigentümliches Käppi sieht. Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt der Landwirt nun in Kernscheid, mästet dort Vieh, hält sich Ammenkühe samt Kälbern und züchtet auch Limousin-Bullen. "Mein Hof ist nichts Hochkarätiges, eher altertümlich", meint Morgen schmunzelnd.Dung statt Diesel, Vieh statt Verkehr

Eingemeindung und Neubaugebieten zum Trotz - Kernscheid hat sich den Charme eines stadtnahen Bauerndorfs bewahrt. Dung statt Diesel, Vieh statt viel Verkehr. Und mitunter wähnt sich das ortsfremde "Stadtkind" um Jahrzehnte zurückversetzt. Zum Beispiel bei den Geschwistern Jünker. 1730 wurde ihr Hof erbaut, die Mauern sind aus Schiefer. 20 Rinder und Bullen, dazu ein paar Schweine und jede Menge Hühner werden hier gehalten. "Bei uns ist alles Bio", betont Maria Jünker. Schließlich würden auch die Milchkühe nur mit Rüben und Schrot gefüttert. Ein Silo haben die Jünkers nicht. Vor allem Jünkers Milch und Eier werden von der Kundschaft im Dorf geschätzt. Drei Schwestern und ein Bruder - allesamt ledig, die jüngste Jünker 65 Jahre alt - leben auf und vom Hof. Doch nur von der Landwirtschaft könnten die Geschwister nicht leben; einige beziehen eine Rente, weil sie viele Jahre einem weiteren Beruf nachgingen. Jetzt sagt "Ruheständlerin" Maria Jünker: "So lange es noch geht, machen wir weiter." Diese Einstellung teilt auch Karl Zonker, dessen Hof am Rande des Stadtteils liegt. Der Bauer zählt zu den "Großen" Kernscheids, ein "Viehbaron", der 90 Tiere sein Eigen nennt und auch Nachzucht betreibt. "Man muss durchhalten", sagt Zonker, nachdem er über Preisverfall und Kostenexplosion geklagt hat. Noch macht ihm der Beruf Spaß, und "nicht umsonst hab' ich mir das hier noch hingebaut", sagt Zonker und zeigt auf die relativ neue Traktorenhalle auf seinem Hof. Sonja und Alois Jodes hingegen können nicht klagen, und sie tun es auch nicht. "Ich liebe den Kontakt mit den Kunden", sagt Sonja Jodes und präsentiert ihr Sortiment: Spätlese oder Edelherben, Schnaps oder Likör - an Flüssignahrung herrscht kein Mangel. Aber auch Fleisch und Wurst werden verkauft. "Meine Kunden kommen aus allen Teilen der Stadt", berichtet Sonja Jodes, und Mann Alois ergänzt: "Sogar aus Spangdahlem." "Da weiß man wo es herkommt", bekomme sie von den zufriedenen Kunden immer wieder zu hören, berichtet Sonja Jodes, sichtlich stolz ob des gut laufenden Geschäfts.Kerzen aus Bienenwachs

Nur wenige Meter von den Jodes' entfernt werkeln Anita und Karl Kreil in ihrer Küche. Das Ehepaar sortiert selbst gemachte Kerzen aus Bienenwachs - Weihnachtsgeschenke für die Kundschaft, die sich bei den Kreils mit süßem Brotaufstrich eindeckt. Seit vier Jahrzehnten schon beschäftigt Karl Kreil Bienenvölker, auf dass die in großen Mengen das naturnahe Nahrungsmittel liefern. Elf Völker sind derzeit im Einsatz, mit 25 bis 30 Kilo Honig je Volk können die Kreils rechnen. "Da wird nichts entzogen oder zugesetzt", verbürgt sich der Kernscheider Imker für die Qualität seines Honigs. 71 Jahre ist Kreil nun alt; da muss er einen Gang zurückschalten und die Königinnenzucht bremsen. Hermann-Josef Becker ist derweil im Ruhestand und hält sich noch rund 20 Stück Vieh. Dafür, dass er auch künftig noch viel zu tun haben wird, sorgt jedoch auch seine in ganz Kernscheid geschätzte Hilfsbereitschaft. Ein paar Häuser weiter erzählt Erwin Morgen unterdessen die Entstehungs-Geschichte seiner Kopfbedeckung: 1945 hatten die Amerikaner Morgen als Kriegsgefangenen in die USA gebracht. Dort musste er bei Bullenhitze auf kalifornischen Feldern arbeiten, "was nur mit einer Kopfbedeckung auszuhalten war". So kreierte der findige Filscher sein Taschentuch-Käppi, das vor Regen wie Sonne gleichermaßen schützen soll. In Kernscheid und überall. Morgen in "Kernscheid - ganz nah": Gute Geister auf der Höhe - das Ehrenamt steht hoch im Kurs.

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