Herzlichen Glückwunsch!

Seit exakt 90 Jahren gibt es ihn: den Muttertag. Und entgegen aller Unkenrufe: der internationale Verband für Blumenhändler hatte seine Finger nicht im Spiel. Und auch die weitverzweigte Parfumindustrie mit angeschlossenem Einzelhandel ist völlig unschuldig an diesem Feiertag.

Selbst die Süßwarenproduktion kann jede Verantwortung mit Nachdruck von sich weisen. Es war vielmehr ein amerikanischer Präsident, der den zweiten Sonntag im Mai als Feiertag ausgerufen hat: Als "öffentlichen Ausdruck für die Liebe und Dankbarkeit, die wir den Müttern unseres Landes entgegenbringen". Wie vieles andere wurde also auch der Muttertag aus Amerika nach Europa importiert. Der geneigte Leser denke nur an ölige Hamburger, staubiges Popcorn oder benzinverschlingende Protzkarossen. Daneben also auch: der Muttertag! Die Nazis gaben dem Fest eine eigene Prägung: blonde, blauäugige und gebärwillige Heldenmütter erfuhren eine fast kultische Verehrung. Mütter und Helden waren wichtig - schließlich wurde unersättlich Nachschub gebraucht für die menschenverschlingende Kriegsmaschinerie. Nach 1945 kehrte man wieder rasch zur Vorkriegstradition zurück: Statt "Mutterkreuz", im Volksmund auch "Karnickelorden" genannt, gab's also wieder Blumen und Pappherzen, Damendüfte und mancherlei andere Wohltaten für die Mütter. Dabei ist es geblieben - bis heute. Warum eigentlich? Ich frage mich: Welchen Sinn hat dieser Festtag? Außer, dass er deutlich zum Umsatz der Floristen, Drogerien und ähnlicher Geschäftszweige beiträgt (Es sei dem Einzelhandel von Herzen gegönnt!). Ich frage mich: Welchen Sinn hat es, wenn an einem besonderen Sonntag die Mütter herausragend geehrt werden? Aber an den übrigen 364 Tagen des Jahres ist es in unserer Gesellschaft völlig egal, wie es Müttern geht. Teilzeitarbeitsplätze - sie sind nach wie vor Mangelware. Hortplätze, die wenigstens alleinerziehenden Müttern eine Betreuung der Kinder während der (bitter notwendigen) Arbeitszeit leisten können, sind nach wie vor mit der Lupe zu suchen und meist furchtbar teuer. Und auch das "lästige bisschen Haushalt" - es bleibt nach wie vor zumeist an den Müttern hängen (Männer, Söhne und auch Töchter üben sich häufig in vornehmer Zurückhaltung - außer: am Muttertag). Erst wenn es gelingt, die Lasten gleichmäßig zu verteilen - in der Familie, in der Gesellschaft - dann macht dieser Festtag Sinn. Als Fest der Gemeinschaft, die auch im Alltag gelebt wird. Einer Gemeinschaft, in der selbstverständlich ist: Jeder Mensch ist gleich wichtig und gleich viel wert. Pfarrer Guido Hepke Evangelische Kirchengemeinde Trierhepke.trier@ekkt.de

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