Schutzengel in der Baggerkabine

Es ist schon die vierte Bombe gewesen, die Jürgen Heinsch in seinem Arbeitsleben als Baggerfahrer freigeschaufelt hat. Dass ihn der Trierer Blindgänger in Lebensgefahr gebracht hat, war dem 47-Jährigen allerdings bis zur Entschärfung des Sprengkörpers am Freitagabend nicht bewusst.

 Gefragter Mann: Baggerfahrer Jürgen Heinsch erzählt den zahlreichen Pressevertretern, wie es war, als er die Bombe gefunden hat. TV-Foto: Hans Krämer

Gefragter Mann: Baggerfahrer Jürgen Heinsch erzählt den zahlreichen Pressevertretern, wie es war, als er die Bombe gefunden hat. TV-Foto: Hans Krämer

Trier. Taghell strahlen die Flutlichter des Technischen Hilfswerks den Bagger von Jürgen Heinsch an. Majestätisch sieht der gelbe Riese aus auf dem rdhügel. Unter seiner Schaufel liegt die Bombe, die gut zwei Stunden später vom Kampfmittelräumdienst (KMRD) entschärft werden soll.

Doch ohne Jürgen Heinsch geht gar nichts. Denn damit die Männer des Kampfmittelräumdienstes überhaupt an den blindgänger rankommen, muss Heinsch die Baggerschaufel - "den Löffel", wie er sie nennt - wieder anheben. "Das ist schon meine vierte Bombe", sagt der Familienvater aus Irmenach (Verbandsgemeinde Traben-Trarbach) und wirkt ganz entspannt. "Nö, Angst hab ich keine. Man hat uns schließlich gesagt, dass die alten Bomben, selbst wenn sie losgehen, zu 90 Prozent einfach nur ausbrennen und nur zehn Prozent tatsächlich explodieren."

Erschütterungen hätten zur Explosion führen können



Doch die Trierer Bombe war keine von den ungefährlichen. "Schon eine leichte Erschütterung hätte sie zum Explodieren bringen können", sagt Horst Lenz, technischer Leiter des KMRD. Denn nicht nur der Zünder war vermutlich von einem im Zweiten Weltkrieg zum Munitionsräumen eingesetzten Kriegsgefangenen so manipuliert worden, dass es nur noch eines kleinen Rucks bedurft hätte, um die Detonation auszulösen.

Durch Feuchtigkeit und den Kupfergehalt der Zündkapsel hatten sich zusammen mit den Bleiaziden der Zündladung hochexplosive Kupfersalze gebildet. "Diese können schon beim Überstreichen mit einer Vogelfeder explodieren", sagt Lenz. "Und die Erschütterung durch die Baggerschaufel und die Bewegung hätten allemal ausreichen können."

Dass er und seine Kollegen tatsächlich in Lebensgefahr geschwebt haben, ist Heinsch auch am Freitagabend noch nicht richtig bewusst. Der Blindgänger habe am Mittwochmittag halt auf einmal in seinem Löffel gelegen, erzählt der Baggerfahrer. "Ich hab hingeguckt und gedacht, oh, hoppla, das ist eine Bombe." Vorsichtig habe er den Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg wieder abgelegt. "An den Hang vom Hügel. Da hab ich schon noch gedacht, hoffentlich rollt die da nicht runter. Aber sie ist liegengeblieben." Zur Sicherheit habe er eben die Schaufel seines 30 Tonnen schweren Baggers über der Bombe abgesenkt. "Und dann bin ich ans Auto, da hab ich immer einen Zettel mit der Handynummer vom Herrn Lenz liegen."

Rund 90 Minuten später sind die Experten des Kampfmittelräumdienstes da und begutachten die Bombe. Mitte der 1990er Jahre habe er einen Blindgänger mit einer so gefährlich manipulierten Zündung schon einmal in Trier, damals in Dom-Nähe, entschärft, sagt Lenz. Nach der Aufregung und dem nächtlichen Einsatz am Freitag hat Heinsch am Samstagnachmittag erst mal ein ausgedehntes Mittagsschläfchen gehalten. "Gut wäre, wenn Baggerfahrer in ihrer Ausbildung auch beigebracht bekämen, wie solche Bomben aussehen, damit man die auch sofort erkennt", sagt der Familienvater.

"Mir hat das vorher jedenfalls keiner erklärt. Und wenn ich nicht schon mal einen Kriegsfilm gesehen hätte, hätte ich bei meiner ersten Bombe auch nicht gewusst, dass das ein Blindgänger ist."

Am heutigen Montag arbeitet Heinsch auf einer anderen Baustelle, am Dienstag sitzt er wieder in der Führerkabine seines Komatsu-Baggers in Trier und erledigt weiter Erdarbeiten auf dem Gelände hinter dem Trierer Hauptbahnhof, wo die Deutsche Telekom AG einen neuen Zustellstützpunkt errichten lässt.

Dass von den nächtlichen Bombenangriffen der Engländer auf den Bahnhof im Dezember 1944 noch weitere Blindgänger im Boden liegen könnten, jagt Baggerfahrer Heinsch keine Angst ein. "Ich bin doch ein Glückskind - vielleicht sollte ich tatsächlich mal mit dem Lottospielen anfangen."

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